Berliner Zeitung, 9.6.2000 UN-Frauenkonferenz droht Blockade Kritik an Verzögerungstaktik von Vatikan und islamischen Staaten Olivia Schoeller NEW YORK/BERLIN, 8. Juni. Wenige Stunden vor dem Ende der UN-Sondergeneralversammlung "Frauen 2000", die die Gleichberechtigung der Frau beschleunigen soll, sind bekannte Probleme wieder hervorgetreten. Frauengruppen aus der Türkei, Indien und Kolumbien warfen dem Vatikan und islamischen Staaten vor, die Verhandlungen in New York zu blockieren. Namentlich klagte die indische Professorin Gita Sen neben dem Vatikan auch Algerien, Iran, Libyen, Pakistan, Sudan und Nikaragua als stärkste Bremser einer Einigung an. "Andere Länder versuchen zwar auch, bei Abtreibung und Sexualität zu bremsen, aber sie nehmen flexiblere Position ein", sagte Sen. Zur Debatte steht die Festschreibung der sexuellen Rechte der Frau. Nach Angaben der Frauengruppen wollen die Mehrheit der 180 Teilnehmerstaaten und der Nichtregierungsorganisationen in diesem Punkt nicht nur die Resultate der Weltfrauenkonferenz in Peking von 1995 bestätigen, sondern auch weiterbringen. Zu Beginn des Treffens warnte UN-Menschenrechtskommissarin Mary Robinson bereits einige Länder, hinter den Zielen von Peking zurückzubleiben. "Sexueller Kolonialismus" Schon damals hatten sich die Konferenzteilnehmer nur mit Mühe in dem Abschlussdokument auf eine Formulierung einigen können. "Die Menschenrechte der Frau umfassen auch ihr Recht, frei von Zwang, Diskriminierung und Gewalt über Angelegenheiten in Zusammenhang mit ihrer Sexualität bestimmen und frei und eigenverantwortlich entscheiden zu können. Das schließt auch die Frage der Gesundheit im Zusammenhang mit Sexualität und Fortpflanzung ein." Einige Staaten meldeten gegen den Kompromiss Vorbehalte an, während er anderen Ländern nicht weit genug ging. Sie wollten auch ein Verbot der Diskriminierung von Frauen auf Grund ihrer sexuellen Orientierung verankert sehen. Abtreibungsgegner machten hingegen westliche Staaten "durch ihre radikale Sprache über sexuelle Rechte und Abtreibung" für die Verzögerung einer Einigung verantwortlich. Der Präsident des Katholischen Familien- und Menschenrechts-Institutes warf den USA und der EU vor, "sexuellen Kolonialismus" zu betreiben. "Sie versuchen in den Entwicklungsländern eine Unmoralität zu verbreiten, die bereits im reichen Westen jämmerlich gescheitert ist", sagte Austin Ruse. Eine Einigung erreichten die Konferenzteilnehmer bislang in einem Punkt: Die rituelle Beschneidung weiblicher Geschlechtsorgane wird zum ersten Mal in einem UN-Dokument als Verletzung der Menschenrechte angeprangert. Die entsprechende Formulierung werde in das Abschlussdokument aufgenommen, sagte die deutsche Familienministerin Christine Bergmann in New York. In bisherigen UN-Papieren war die Genitalverstümmelung von Frauen nur als "schädliche traditionelle Praxis" eingestuft worden. Auch beim Schutz der Frauen vor Gewalt und bei der Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt, seien Fortschritte erreicht worden, sagte Bergmann. Nach Wunsch der Präsidentin der Internationalen Koalition für die Gesundheit von Frauen soll in dem Schlussdokument auch der Zusammenhang zwischen der rasanten Ausbreitung von Aids und dem zunehmenden Frauenhandel erwähnt werden. (mit dpa und AP) DIE SEXUELLE RECHTE Diskriminierungsverbot ist umstritten // Die Festschreibung der sexuellen Rechte der Frau, vor allem in Bezug auf ihre sexuelle Orientierung, gehört zu den umstrittensten Themen der UN-Konferenz. Bereits auf der Weltfrauenkonferenz in Peking konnten sich westliche Staaten, Israel und Südafrika nicht damit durchsetzen, ein ausdrückliches Verbot der Diskriminierung von Lesben und Transsexuellen festzuschreiben. Das Schlussdokument von 1995 legt aber fest, dass Lesben und Frauen mit außerehelichen sexuellen Beziehungen zu schützen seien. Der Text wird auch als Verbot von Zwangsheirat und Vergewaltigung in der Ehe ausgelegt. Mehr dazu im Internet unter: www. un. org/womenwatch/daw/followup/beijing+5. htm // Harte Arbeit, weniger Lohn: Auch die Gleichberechtigung von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt wird auf der UN-Konferenz diskutiert. // Mary Robinson, UN-Kommissarin, warnte vor Rückschritten in der Gleichberechtigung der Frau.
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