Tagesspiegel, 10. Juni 2000 Wo der Baumfrosch lebt In Cirali, an der Südküste der Türkei, wird um die Umwelt gerungen Norbert Forsch Freitags holt Kemal den Trecker und wartet auf den Reisebus aus Antalya. Vorbei an Lavendelsträuchern und Myrtebüschen, die man nicht mehr sehen aber riechen kann, schaukelt er die Urlauber in der dunklen Nacht zum Waldrand. Sie suchen Yanartas, den Feuerstein, der im Tal noch den Weg gewiesen hat, nun aber hinter den Bäumen verschwunden ist. Erst spät verraten steinerne Platten, dass dieser Aufstieg in der Antike wohl komfortabler gewesen sein muss; dann zeichnet sich die Silhouette einer Ruine gegen den Himmel ab. Flammen schlagen aus dem Fels empor, lodern aus Rissen und Spalten und fesseln den Blick. Bereits Plinius der Ältere berichtet im 1. Jahrhundert vor Christus, man müsse nur mit einem brennenden Stock die Erde berühren, und schon schieße ein Feuer empor. Und so ist es auch heute noch. Der Reiseführer erklärt die Ruine als Hephaistos-Heiligtum, aber den Halbwüchsigen ist es gleich, und die Alten schauen erst einmal schnaufend zurück. Zwischen den Baumlücken schimmert in der Ferne das Mondlicht auf dem reglosen Meer. Dort hatten die Flammen einst als natürliches Leuchtfeuer die Schiffe geleitet. Bereits 300 nach Christus von Bischof Methodius beschrieben, wurde ihre Herkunft längst zuvor von Homer erklärt: Es war das schreckliche Ungeheuer Chimäre, das im Kampf mit dem in Liebeshändel verstrickten Helden Bellerophon seine drei Feuer speienden Köpfe verlor, die zur Erde fallend die Steine entflammten. Das alte Lykien muss den Griechen, die den Landstrich im 7. Jahrhundert vor Christus kolonialisierten, viel wert gewesen sein. Wie anders wäre es zu erklären, dass sie den Handlungsort einer ihrer schönsten Mythen hierhin verlegten. Die natürliche Schönheit des Küstenstriches um Cirali hat neben den Lykiern und Griechen auch den lydischen König Kroisos, Perser, Römer, Seeräuber und italienische Händler überdauert. Heute sind anscheinend die Erdgasflammen das Einzige, von dem man mit einiger Sicherheit sagen kann, dass es bleibt wie es ist. Nur ein kurzes Stück trennt die Schnellstraße den schmalen Strand von den hässlichen Hotels am Stadtrand von Antalya, um schließlich in das bewaldete Gebirge zu schneiden. In gebührendem Abstand passiert unser Taxi die Touristenburgen des einstigen Fischerstädtchens Kemer und erreicht schließlich das Meer und den wie absichtslos hingestreuten Ort Cirali. Eine Mitte ist nicht auszumachen und das hat seinen Grund. "Vor zehn Jahren hat hier noch kaum jemand gewohnt", erzählt Irmine Kuzutürk. Irmine redet schnell und viel, als habe ihr schon lange niemand zugehört. Sie ist Leiterin des "Cirali Costal Management Plans" und arbeitet für den DHKD, die türkische Gesellschaft für Naturschutz. Sie und ihre freiwilligen Helfer wollen den Bewohnern von Cirali Umweltschutz und sanften Tourismus nahebringen und zugleich einen der letzten Brutplätze der bedrohten Meeresschildkröte retten. "Am Schlimmsten ist das Müllproblem und die Unachtsamkeit", sagt Irmine. "Die Leute machen hier Urlaub und wollen ihren Spaß haben." Etwas hilflos zuckt sie mit den Achseln. 1988 wurden zweieinhalbtausend Kilometer Küstenlinie entlang des Mittelmeeres vom World Wildlife Found und dem DHKD untersucht und alle bedeutenden Brutplätze der Meeresschildkröten kartografiert. Die Bestrebungen, die Tier- und Pflanzenwelt der türkischen Mittelmeerstrände zu schützen, gipfelten 1997 in dem mit Mitteln der Europäischen Union finanzierten Projekt "Costal Management and Tourism in Turkey". Cirali wurde zum Modellfall, stellvertretend für eine Vielzahl kleiner Strände, die es zu bewahren gilt. Den Touristenstrom hat es nicht aufgehalten. Überragt vom lykischen Olympos, heute Tahtali Dag genannt, wo die griechischen Siedler den Wohnsitz des Zeus vermuteten, erstreckt sich die Küste von Cirali als sanft geschwungener, rund drei Kilometer langer Strand, der im Norden von dem schroffen Felsenkap Karaburum und im Süden von der versunkenen Stadt Olympos begrenzt wird. Der Küstenlinie folgen Pensionen und Restaurants, hinter denen sich Felder und Zitrusplantagen in einer Ebene verlieren, die von den steil abfallenden Ausläufern des Taurus-Gebirges in ihre Schranken verwiesen werden. Zahllose Pumpen fördern im Sommer, wenn der Touristenstrom sprudelt und der hier ins Meer mündende Fluss Ulupinar versiegt, schier unerschöpflich scheinendes Grundwasser und verwandeln den Ort in eine grüne Oase. Jenseits der Felder und Gewächshäuser, wo die Natur noch weitgehend sich selbst überlassen ist, wurden unter vielen seltenen Pflanzen auch zwei neue Spezies entdeckt, die bislang auf ihren Namen warten. Dort leben noch das Chamäleon, die Nachtigall und der Baumfrosch, während auf dem sandigen Küstenstreifen seit Jahrtausenden Sommer um Sommer die Meeresschildkröte Caretta caretta erscheint, um ihre Eier zu legen. Spät in der Nacht, wenn die Touristen ein letztes Efes-Bier trinken, erscheinen dunkle Gestalten am Strand. Sie schleichen durch den Mondschatten uralter Pinien, umkreisen im Licht einer roten Lampe nutzlos wirkende Drahtgestelle und tasten mit den Händen im Sand nach Spuren, als suchten sie einen verborgenen Schatz. "Das sind freiwillige Helfer aus Großbritannien", weiß Irmine. "In der Nacht kontrollieren sie, ob mit den Schildkrötennestern noch alles in Ordnung ist. Wir haben sie sorgfältig dokumentiert und mit Käfigen markiert." Es ist selten alles in Ordnung. Allzu oft sind Markierungen verschwunden, wurden Käfige umgestellt, schlimmstenfalls ein Nest zerstört. Das können Vögel oder Hunde gewesen sein, wahrscheinlicher aber ein Mensch, denn unglücklicherweise fällt die Brutzeit der Schildkröten in die turbulenten Monate Mai bis September, in die Hauptsaison der Touristen und in die türkische Ferienzeit. Die Gefahren sind zahlreich. Etliche Tiere sterben an verschlucktem Glas und an Plastiktüten, die sie mit Futter verwechseln. Frisch ausgeschlüpfte kaum fünfmarkstückgroße Tiere laufen dem Schein nächtlicher Lagerfeuer oder den Lampen der Restaurants entgegen, die heller schimmern als das rettende Meer. "Es hört sich spannend an, Schildkröten zu schützen und in der Nacht zu warten, bis sie ausschlüpfen", sagt Irmine, "aber die Realität sieht anders aus. Die meisten Volontäre haben es nach sechs Wochen satt." Am Morgen erscheint Cirali in einem völlig anderen Licht. Am nördlichen Küstenabschnitt campieren Bauernfamilien mit Kind und Kegel unter den Pinien, während zahlungskräftigere türkische Gäste in den familiär geführten Pensionen am Frühstückstisch sitzen. Spaziert man Richtung Olympos ändert sich die Szenerie. Hier ein Kiosk, dort ein kleines Hotel. Wie ein Fremdkörper mutet der Misthaufen eines Bauerhofes an. Schließlich rücken die Restaurants näher an den Strand heran, bis die Mauern einer exklusiven Lodge den Weg versperren. Spätestens hier sieht man zahlreiche Ausflugsschiffe weit vor den Mauern des antiken Olympos ankern, dessen Hafen längst versandet ist. Sonnenhungrige Menschen lagern an der Mündung eines fischreichen Süßwasserflusses, der einem Engtal entströmt, in dem sich die Ruinen der Stadt unter dem Grün verlieren. "Icecream, moroschenoe, dondurma", ruft ein Eisverkäufer unentwegt und läuft zwischen halbnackten oder verschleierten Frauen herum. Cirali ist international geworden. Neben Europäern und einer zunehmenden Zahl von Russen, sind auch Asiaten und Amerikaner zu sehen und das, obwohl in den meisten Reiseführern über Cirali nur wenige Sätze stehen. Werbung wird in der nahen Touristenhochburg Kemer, aber auch in Antalya und dem weit entfernten Alanya gemacht und Cirali wird reichlich gebucht, sei es als Bustour oder als Bootsausflug. Der Weg durch die Ruinenstadt wird heute so stark begangen wie zu lykischer Zeit. Sogar ein Wächter ist wieder am Engpass der Schlucht zu sehen, nur dass er von dem einen oder anderen Passanten Eintritt verlangt. Noch heute speisen die gleichen alten Quellen den verfallenen Hamam der Stadt und laden zum Baden ein. Und wer den Trampelpfaden durch das Unterholz folgt, wird neben einem römischen Theater, umgestürzten Säulen und Mauerresten auch ein kolossales Tempeltor entdecken. Die Stadt, die im 2. Jahrhundert vor Christus als eine der vornehmsten unter den lykischen Städten galt, wurde 100 vor Christus von kyklischen Piraten erobert. Danach hatte sie nie wieder die einstige Bedeutung erlangt und wurde im 15. Jahrhundert gänzlich verlassen. Von der Kultstätte des Feuergottes Hephaistos sind nur malerisch überwucherte Ruinen und längst geplünderte Sarkophage geblieben. Die Touristen sind sich des Modellcharakters von Cirali kaum bewusst. Tagesausflügler wundern sich bestenfalls über seltsame Gestelle am Strand. Niemand weiß, wie es ohne die Bemühungen der Naturschützer aussehen würde, wenn das illegale Bauen nicht eingedämmt, Autofahren auf dem Strand nicht verboten und kein offizieller Campingplatz eingerichtet worden wäre. Von den vielen Treffen mit Restaurantbesitzern, fruchtlosen Gesprächen über ökologischen Landbau, Englischkursen für türkische Frauen, dem Computerkurs für Kinder und der Strandsäuberung wissen die Urlauber nichts. Sie sind gebührenpflichtige Parkplätze und Mülltrennung, die hier noch in den kleinsten Kinderschuhen steckt, von zu Hause gewöhnt. Neben den Erfolgen sind die Rückschläge leichter zu sehen. Sie werden nachts am Strand gezählt. Während bewaffnete Kräfte mit Maschinenpistolen im Bereich Olympos Präsenz demonstrieren, zeigt die Verwaltung meistens Machtlosigkeit, wenn es um Naturschutz geht. Zwar hat die Regierung für die Küstenregion in Übereinstimmung mit internationalen Abmachungen etliche Gesetze erlassen, aber es gibt kaum ein Gesetz, dem schnelle Taten folgen.
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