SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.12 vom 08.06.2000, Seite 16 Der Iran und die Heinrich-Böll-Stiftung Kritik an Reformbewegung unerwünscht Bahman Nirumand als Handlanger deutscher Außenpolitik im Iran Dr.Bahman Nirumand, Ende der 60er Jahre in Westberlin Weggefährte von Rudi Dutschke, Bernd Rabehl, Horst Mahler und des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) und heute Mitglied der Grünen, gilt noch immer als prominenter iranischer Widerstandskämpfer und Literat im Exil. Iranische Oppositionelle jedoch meinen, er folge dem Rechtsruck seiner ehemaligen Genossen Bernd Rabehl, dem die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung im vergangenen Jahr wegen deutschtümelnder und nationalistischer Parolen gekündigt hat, und Horst Mahler, dem Ex-Anwalt der außerparlamentarischen Opposition (APO), der inzwischen offen faschistische Positionen bezieht und vor NPD-Parteitagen redet. Der Vorwurf stellt sich als übertrieben dar. Doch Nirumand, eine der Ikonen der 68er-Bewegung und das nicht nur in Westdeutschland, demontiert sich seit Jahren deutlich als Linker, zehrt aber weiter von seinem alten Ruf. Nirumand war es, der am 2.Juni 1967 auf einem Teach-in im Audimax der FU in Berlin vor über 3000 Studenten das diktatorische Schah-Regime in seinem Heimatland Persien analysiert hatte. Anschließend demonstrierten 2000 Studenten und Schüler vor dem Schöneberger Rathaus. Als beim Eintreffen des Schahs Rauchkerzen und Eier flogen, prügelten schahfreundliche "Jubelperser" mit Stahlrohren auf die Demonstranten ein. Bei einer zweiten Manifestation am Abend vor der Deutschen Oper kam es zu schweren Auseinandersetzungen mit der Westberliner Polizei, die mit zivilen Greiftrupps flüchtende Studenten einzufangen versuchte. Dabei wurde der 26-jährige Student Benno Ohnesorg auf einem Parkhof vom Kriminalobermeister Kurras von hinten erschossen. Dieser Tag wird geschichtlich als der eigentliche Beginn der Studentenbewegung und APO gewertet. Die Seele der Deutschen War Nirumand damals ein messerscharfer Analytiker der iranischen und deutschen Gesellschaft, so sucht er heute im Stil des Zeitgeistes nach verallgemeinernden Platitüden. Zu wandernden Seelen und Astralleibern hat er inzwischen ein besonderes Verhältnis. Anthroposophische Magazine schmücken sich mit seinen Beiträgen, und seine Kinder genossen die anthroposophische Erziehung im Sinne Steiners, wie die Internetseiten der Waldorfschulen stolz vermerken. Den Fremdenhass in Deutschland erklärt er mit der "Seele der Deutschen". Der ehemalige Marxist schreibt: "Der alten Bundesrepublik war es im Verlauf eines nahezu halben Jahrhunderts gelungen, den in dieser Gesellschaft lebenden Menschen jene Ordnung und Sicherheit und einen entsprechenden Wohlstand zu gewähren, die sie benötigten, um ihre inneren Ängste allmählich abzubauen oder sie zumindest zu verdrängen. Doch die Einheit mit der DDR, der Zusammenbruch der Sowjetunion mitsamt ihren osteuropäischen Satelliten haben die alten Ängste und Unsicherheiten wieder wachgerufen. Die Sehnsucht nach einer heilen, geordneten Welt, nach einer nationalen, geistigen, kulturellen Identität lebt wieder auf. Findet man sie in einer Großmacht Deutschland, in einem vereinten Europa, in einer multikulturellen Gesellschaft oder in den Trümmern des Dritten Reichs? Flüchtlinge und Ausländer, als Feindbild aufgestellt, dienen dem alten Schema: die Erringung der Identität durch die Negation des Fremden. So betrachtet, gelten die Brandanschläge gegen Flüchtlinge eigentlich den Deutschen selbst. Die demonstrierte Macht ist eine Demonstration der Ohnmacht, der Hass gegen Fremde ein Selbsthass."* "Der Deutsche" hasst, "der Russe" stand schon fast vor Hamburg, "der Türke"... Ja, verwundert es da, dass "der Iraner" laut Nirumand noch nicht richtig reif ist für Demokratie und uneingeschränkte Grundrechte? Und dass er viel Zeit für den Demokratisierungprozess und die starke Hand eines "politisch klugen Präsidenten" braucht? Zur Situation im Iran gibt Nirumand, der erstmals vor dem Schahregime 1965 in die Bundesrepublik flüchtete, nach dem Sturz der Monarchie in den Iran zurückkehrte und wegen des Terrors der Islamisten erneut nach Deutschland zog, inzwischen laufend Erklärungen ab, die um Verständnis für die seiner Meinung nach reformfreudigen Kräfte um Präsident Khatami werben. Nirumand, der einst gegen den Springer-Konzern unter dem Motto "Enteignet Springer" demonstrierte, äußerte sich am 15.Juli 1999 in der Springer-Zeitung Die Welt zur Lage im Iran wie folgt: "Die Welt: Sehen Sie auch Gefahren in der aktuellen Entwicklung? Nirumand: Ich fürchte, dass es wieder einmal, im Überschwang der Gefühle, zu schnell geht. Die Studenten könnten radikalisiert werden, und dann wären wir wieder bei den Fehlern der Revolution von vor 20 Jahren. Damals haben alle geschrien: Nieder mit der Diktatur! Aber keiner wusste, wie es weitergehen sollte. Und schon begann die Tragödie. Die Welt: Aber ist die Situation wirklich noch vergleichbar? Nirumand: Sicher nicht. Die Menschen haben schließlich im Lauf der Jahre neue Erfahrungen gesammelt. Sie fallen nicht mehr so leicht auf Parolen herein. Die Frauen sind viel selbstbewusster, die Jugend weiß viel besser als damals, was sie will und was sie braucht. Die Studenten heute können sich auf eine liberale und engagierte Presse stützen, sie haben einen politisch klugen Präsidenten an ihrer Seite. Die Landschaft hat sich gegenüber der Zeit vor 20 Jahren doch sehr verändert, es ist eine neue politische Kultur entstanden. Darum denke ich, die Studenten haben gute Chancen, den Iran auf dem Weg zur Demokratie ein gutes Stück voranzubringen." Studenten verurteilen Im ZDF stellte ein Journalist Nirumand wenige Tage vorher, am 4.Juli 1999, die Frage: "Aber jetzt hat der Präsident, der als Reformer gilt, sich auch gegen die Studentenbewegung ausgesprochen und sie scharf verurteilt. Musste er das machen?" Nirumands Antwort löste in der iranischen Exilgemeinde einen Aufschrei aus, denn er sagte wörtlich: "Ich denke, dass Khatami die Studenten verurteilen muss..." Die iranische Vorsitzende von DIA - Verein für Kultur & Migration e.V. in Mainz, Nasrin Amirsedghi, ein bislang den Grünen verbündeter und wohlgesonnener Verein, stellte daraufhin empört die Frage: "Kann man den herrschenden Terror und die Unterdrückung der iranischen Studenten und der Bevölkerung etwa noch entschiedener und expliziter befürworten?" So sehen es auch viele andere iranische Intellektuelle. Der Schriftsteller und Journalist Abbas Maroufi ist Herausgeber der seit 1996 im Iran verbotenen Kulturzeitschrift Gardun (Himmelsrad). Gardun versteht sich vor allem als Sprachrohr exil-iranischer Dichter und Publizisten. Die Zeitschrift teilt nicht die Auffassung Bahman Nirumands, das ideologisch- politische System des Welayat-e Faqih (Die Herrschaft der Rechtsgelehrten) werde sich wegen des gesellschaftlichen Wandels und des fortschreitenden Modernisierungsprozesses im Iran über kurz oder lang nicht mehr halten können. Maroufi wörtlich: "Wie ich Khatami einschätze, wird er zwar nicht der strikten ideologischen Linie des Welayat-e Faqih folgen. Andererseits heißt das noch lange nicht, dass damit das totalitäre Regime im Iran insgesamt am Ende ist. Solange das Land von der Europäischen Union massiv unterstützt wird, wäre ich da keinesfalls so optimistisch wie Nirumand, auch nicht nach den jüngsten Wahlen." Die Böll- Stiftung Vom 7. bis 9.April 2000 veranstaltete die Iran-Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin im "Haus der Kulturen der Welt" ein "Erstes gemeinsames Forum für religiöse Reformer und iranische Oppositionelle". Neben dem Dialog unter Iranern sollte die Konferenz Gelegenheit geben, der deutschen Öffentlichkeit ein differenziertes Bild von der Entwicklung im Iran darzubieten. Es waren siebzehn bekannte Personen aus Politik, Medien, Wissenschaft, Religion, Kunst und Literatur des Iran geladen, die sich nach Meinung der Böll-Stiftung in der Reformbewegung besonders profiliert haben. Etwa die Hälfte dieser Persönlichkeiten werden dem islamischen Lager zugerechnet. Ein öffentlicher Dialog von reformorientierten Kräften beider Seiten "sei ein Experiment für alle Beteiligten." Selbstverständlich, hieß es, sollten auch Vertreter des iranischen Exils die Möglichkeit haben, sich an der Diskussion zu beteiligen. Geladen waren jedoch offiziell die nicht, die den Gottesstaat nicht für reformfähig halten. Zum Abschluss der Tagung ging es um die Perspektiven der deutschen Iran- Politik. Es diskutierten u.a. Wolfgang Ischinger, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Jamileh Kadivar, Abgeordnete im iranischen Parlament und ehemalige Beraterin von Präsident Khatami, sowie Bahman Nirumand, angekündigt als "seit den Protesten gegen den Schah-Besuch in Berlin im Jahre 1967 einer der bekanntesten iranischen Intellektuellen in der Bundesrepublik". Der größte Saal des Hauses mit 1000 Plätzen war zu klein für den Andrang für diese als Krönung der Konferenz geplante Veranstaltung. Die Stiftung als Veranstalter wollte den Eindruck vermitteln, die überwiegende Mehrheit der iranischen Exil-Opposition setze große Hoffnungen auf die Reformbewegung im Iran, die sich in der Parlamentswahl vom Februar Bahn gebrochen hat. Ein Dialog zwischen Reformkräften innerhalb und außerhalb des "islamischen Lagers" sei der Schlüssel zum Erfolg der Bewegung. Der Grünen-Politiker Ralf Fücks wies jede Kritik an dieser Position zurück, nur eine kleine, aber gut organisierte Minderheit habe den Dialog verhindern wollen. Sie sei allerdings lautstark und rücksichtslos genug gewesen, um Teile der Konferenz zu sprengen, obwohl ihren Vertretern ausgiebige Redezeiten eingeräumt worden wären. Es hatte laute Kritik an Nirumand wegen dessen positiver Einschätzung des Khatami-Regimes gegeben, auch verbale Attacken gegen eingeladene langjährige Mitläufer des iranischen Regimes; in der abschließenden Presseerklärung wurde dies allerdings verdreht in angebliches Niederbrüllen von Personen, "die sich seit vielen Jahren unter großen persönlichen Risiken für die Menschenrechte, die Gleichberechtigung der Frauen, die Freilassung politischer Gefangener, für die Aufklärung der Morde an Oppositionellen und für die Reform der iranischen Verfassung einsetzen, um die Vorherrschaft der Geistlichkeit durch freie Wahlen und demokratische Institutionen zu ersetzen". Einmischung und Dirigismus Der Verein für Kultur und Migration (DIA) organisiert seit dem 4.Mai dieses Jahres in Mainz zum Gutenberg-Jahr eine Veranstaltungsreihe mit dem Namen "litera-tour 2000". Der Verein ist 1996 aus dem gleichnamigen Projekt entstanden und hat sich zum Ziel gesetzt, den konstruktiven Dialog zwischen den Kulturen auf hohem Niveau zu fördern. Zu den kulturellen Aktivitäten, die Mitglieder und Freunde des Vereins zusammen mit Kulturschaffenden aller Art kontinuierlich anregen, zählen Lesungen, Literaturmessen, Ausstellungen, internationale Filmwochen, Kinder- und Jugendtheaterprojekte ebenso wie interdisziplinäre Großprojekte, bei denen für alle Beteiligten vor allem eines im Vordergrund steht: der Abbau von Grenzen in den Köpfen und der Aufbau konstruktiver Verständigung durch ausdrücklichen, ehrlichen und durchaus unbequemen Austausch miteinander. "Denn das Neue kommt nur dann in unsere Welt, wenn wir die eingetretenen Pfade neugierig und mutig verlassen." Mit der Heinrich-Böll-Stiftung gibt es seit der Berliner Veranstaltung aber Ärger. Der Grund: Nasrin Amirsedghi, die Vorsitzende von DIA, kritisiert den Islamisten-freundlichen Kurs der Stiftung und besonders Bahman Nirumand, der zu den Gründungsvätern der Böll-Stiftung gehört. Ihre Position unterstützen auch andere iranische Literaten wie Maroufi und der lange inhaftierte Faraj Sarkuhi. Nach den Ereignissen in Berlin nun hat sie Nirumand, der bis zur Iran- Konferenz auch für sie selbst die "erste Wahl" darstellte, als Moderator der Veranstaltung "Das literararische Quintett" am 15.Juni in Mainz, ausgeladen und die Moderation einem Professor übertragen. Sie fordert eine gründliche Auseinandersetzung mit der Lage im Iran wie auch mit den Auswirkungen der Berliner Konferenz. Als Teilnehmer und Teil des Quintetts bleibt Nirumand weiter im Gespräch, nur als Moderator soll er nicht auftreten. DIA befürchtet, die Veranstaltung, die in erster Linie "Literatur erlebbar" machen will, werde dann von den jüngsten Auseinandersetzungen überfrachtet. Das will die Böll-Stiftung nicht zulassen. Deren Leiter in Rheinland- Pfalz fordert, Nirumand müsse wieder als Moderator eingesetzt werden. Dasselbe ertönt in schroffer Form aus Berlin. Der Ton der Schreiben aus der Zentrale entspricht eher dem Umgang mit Dienstboten, nicht dem Umgang mit Kooperationspartnern einer Stiftung, die noch immer basisdemokratisch sein will. Der Streit zwischen Böll-Stiftung und DIA beschäftigt inzwischen nicht nur die exil-iranische Szene weltweit, sondern Schriftstellerverbände und das deutsche PEN-Zentrum. Besonders andere Partner der Böll-Stiftung verfolgen die Gängelungsversuche und tauschen ähnliche Erfahrungen miteinander aus. Der Vertreter eines von der Böll-Stiftung geförderten Jugendumweltprojekts berichtet anonym von dirigistischen Eingriffen in formal unabhängige Entscheidungsprozesse seiner Initiative. Heinrich Böll würde sich seiner Meinung nach im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, dass politische Zensur und Beweihräucherung grüner Politikschwenks Voraussetzung seien, von der Heinrich-Böll-Stiftung Fördermittel zu erhalten. Ekkehard Jänicke *Bahman Nirumand: Der Deutsche haßt die Fremden wie sich selbst. In: Bahman Nirumand (Hrsg.): Deutsche Zustände. Dialog über ein gefährdetes Land, Reinbek 1993 (rororo aktuell 13354). Für Rückfragen und Veranstaltungshinweise hier die Anschrift von "litera-tour": DIA - Verein für Kultur & Migration e.V., Adam-Karrillon-Str.25, 55118 Mainz, Fon/Fax: (06131) 616568.
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