Frankfurter Rundschau, 13.6.2000 Containerprobe Von Robert Misik Echt waren die Widerständler, wenngleich nicht klar war, von welcher Position aus sie sprachen. Der Schriftsteller Doron Rabinovici, die Philosophin Isolde Charim und der Politologe Sebastian Reinfeldt (allesamt Repräsentanten der zivilgesellschaftlichen Opposition gegen die Schüssel-Haider-Regierung), die Christoph Schlingensief sich zur Eröffnung seiner Wiener Asylanten-Aktion nach dem Big Brother Container-Verfahren im Rahmen der Wiener Festwochen geladen hatte, standen hoch oben am Dach des Containers. Aber sprachen sie von oben oder vielmehr von außen, oder waren sie schon Teil der Schlingensiefschen Inszenierung? Dabei sind Eindeutigkeiten doch angeblich das Geschäft des Christoph Schlingensief, den sie abwechselnd Provokateur, Politclown oder Provo-Regisseur heißen, der schon routinemäßig als skandalumwittert beworben wird. Bitte liebt Österreich - erste europäische Koalitionswoche hat er sein Projekt genannt. Auch Sonntag Abend lief alles strikt nach dem Drehbuch aus dem ABC des Aufregers. Gleissendes Kameralicht, Medieninteresse aus Tout Europe, man steht sich die Beine in den Bauch vor dem Container, den die Herrschaften von den Festwochen nach einigem Hin und Her jetzt doch auf dem kleinen Platz vor der Oper bauen durften. Der Container, ein Verhau aus Holzplanken, zwischen den einzelnen Brettern bleibt ein Spalt, so dünn, dass man gerade nicht durchsehen kann. Die Fenster mit reflektierender Folie verklebt, dazwischen Blumenkisten mit Vergissmeinnicht An den Wänden Plakate mit bösen Haider-Zitaten. Und um alles herum ein Zaun, der mehr ist als Begrenzung, eher eine Grenze des Experiments. Dahinter stehen Security-Leute mit Rottweilern, die deshalb so beängstigend wirken, weil von ihnen nicht anzunehmen ist, dass sie im Ernstfall eine Rolle spielen. Und dann, plötzlich: Das Blasmusikorchester der Wiener Linien, sozusagen die Tschinterassa-Kombo der Straßenbahner, spielt die österreichische Bundeshymne und Christoph Schlingensief ist mit rotem Megaphon am Dach des Containers zu sehen. Schon fährt ein roter Autobus der städtischen Verkehrsbetriebe vor, beklebt mit den berüchtigten Seiten des Boulevardblattes Kronen-Zeitung. In dem Bus befinden sich ein Dutzend "Asylbewerber", die in den kommenden sieben Tagen nach Big Brother-Vorbild in dem Container leben und vom Publikum nach und nach herausgewählt werden sollen, um dann der Abschiebung in das Land ihrer Herkunft zugeführt zu werden. Zwei Tretgitter der Wiener Polizei bilden eine Schleuse vom Bus in den Container und ein bisschen gehen die Akteure wie Starlets in Cannes, die in ein Hotel stürmen, ein bisschen aber auch wie dressierte Großkatzen, die in die Manege getrieben werden. Ein Eindruck, der durch den fröhlichen Marsch noch verstärkt wird, den die Straßenbahnerkapelle anstimmt, wann immer einer sein Quartier bezieht. Sie hören auf den Namen Gong Xiaowei, Beqiri oder Leila al-Hashimi und über sie weiß man nicht viel, außer, dass sie natürlich keine Asylanten, sondern Schauspieler sind. Sie tragen bunte Perücken, die Straßenbahner blasen und es ist eine große Hetz, wie man in Wien zu sagen pflegt. Und dann wird da noch eine Fahne hochgezogen. Sie zeigt das "F" der FPÖ. Und dann noch eine: FPÖ. Und dann steht Christoph Schlingensief plötzlich wieder am Dach des Containers, wünscht allen im Namen Europas alles Gute und enthüllt das Transparent des Tages. "Ausländer raus" steht drauf, und wie es da so hängt, weithin sichtbar, zwischen den beiden FPÖ-Fahnen, da halten die paar Hundert, die gekommen waren, den Atem an. Dies ist die ultimative Provokation, irgendwie kriecht die Erwartung hoch, der angekündigte, kalkulierte Skandal könne vielleicht doch noch übertroffen werden. "Das ist die Wahrheit, das ist die FPÖ, das ist die Kronen-Zeitung, das ist Österreich: Ausländer Raus", ruft Schlingensief noch. Mehr zu sagen erübrigt sich, das Soll ist erfüllt. Es ist ein Moment seltsamer Entspannung. Angesichts der zugespitzten Lage, des Umstandes, dass mit der Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen etwas mit einem Schlag zersprungen ist im Land, hatten nicht wenige befürchtet, das Schlingensiefsche Polittheater würde die Situation nicht dramatisieren, sondern banalisieren. Es ist nicht so gekommen und folglich hob rund um den Container große Freude an. Wie sich die Bewohner einrichteten - es konnte über Monitore verfolgt werden - interessierte da kaum noch. Da tanzten ein paar Gestalten mit bunten Haaren, Paulus Manker kramte im Kühlschrank und Schlingensief huschte durchs Bild. Wer in den kommen Tagen zugucken will: unter www.ausländer-raus.at ist man im Internet dabei. Der Rest ist ein programmierter Skandal, der kurioserweise durch die Terminwahl wohl noch einen Tag Urlaub machte. Doch nun, nach Pfingsten, werden sie mit unerbittlicher Selbstverständlichkeit einsetzen: die Kampagne des Boulevard, der Geschrei der FPÖ-Politiker, die Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft, die Anträge auf Einstweilige Verfügung. Da wird lautstark der Missbrauch von Steuergeldern beklagt und der Ruf nach Zensur laut werden. Die städtischen Kulturpolitiker, wahrscheinlich überwiegend Gegner der Regierung, mit Sicherheit aber Feiglinge gegenüber der sich am Boulevard materialisierenden Vox Populi, werden lavieren, dass es eine Freud ist. Und man könnte gar glauben, dass Österreich bleibt wie es immer schon war, und dass weder Christoph Schlingensief und noch nicht einmal Jörg Haider daran irgendetwas zu ändern vermögen.
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