Südkurier, 13.6.2000 Abschiebung per Telefon: - Das TV-Spektakel «Big Brother» war kaum zu Ende, da startete der deutsche Theater-Provokateur Christoph Schlingensief eine ähnliche Aktion in Wien - allerdings mit politischem Hintergrund. Am Sonntagabend zogen unter regem Interesse von Publikum und Passanten zwölf Teilnehmer, die als «Asylbewerber» vorgestellt wurden, in Container. Sechs Kameras übertragen das Geschehen via Internet-Fernsehen (www. webfreetv. com) weltweit während der gesamten Aktionswoche. Täglich soll das Publikum per Telefon-Wertung zwei Bewohner zur «Abschiebung» auswählen. Die erste Nacht in der «Container-City» neben der Wiener Staatsoper verlief ruhig. Schlingensief nennt seine Festwochen-Aktion «Bitte liebt Österreich - Erste österreichische Koalitionswoche». Zwei blaue Fahnen der Freiheitlichen Partei (FPÖ) wehen über den Containern, ein Schild fordert «Ausländer raus», und Aussagen des ehemaligen FPÖ-Chefs Jörg Haider zieren die Außenwände. «In Österreich gibt es 300 000 Arbeitslose und 300 000 offizielle Ausländer» ist zum Beispiel zu lesen oder der Wahlslogan «Stop der Überfremdung». Er nehme mit seiner Aktion Vorschläge zum Umgang mit Asylbewerbern beim Wort, wie sie zum Beispiel Haider und die Freiheitlichen vorgeben, hatte der 39-jährige Regisseur im Vorfeld zu seiner Aktion erklärt. Die Inszenierung halte den Österreichern einen Spiegel vor. Sie weise aber auch auf den Trugschluss der EU hin, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit allein in Österreich auszumachen und zu glauben, «wir wissen jetzt, wo der Nazi wohnt». Hinter einem Bauzaun aus Brettern und Draht leben die fünf Frauen und sieben Männer in drei Containern. Wer sich tatsächlich hinter den angeblichen Asylbewerbern verbirgt, ist Schlingensiefs Geheimnis. Plakate am Bauzaun stellen die Zwölf als Flüchtlinge aus China, Kamerun, Simbabwe, Nigeria, Irak, Kurdistan, Tschetschenien, Kosovo und Albanien vor. Auf der Homepage des privaten Wiener Internet- Fernsehsenders «webfree tv» sind die Biografien und Personenbeschreibungen nachzulesen. Schlingensief nannte die Zwölf «Schauspieler der Wiener Festwochen». Täglich sollen die Container-Bewohner Besuch von einem prominenten Befürworter der Aktion bekommen. Den Anfang machte am Sonntag der Wiener Regisseur und Schauspieler Paulus Manker. Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek, Festwochen-Schauspielchef Luc Bondy und Grün- Politiker Daniel Cohn-Bendit und andere wollen in den folgenden Tagen jeweils einen Nachmittag mit den «Asylbewerbern» verbringen und danach über ihre Gespräche und Eindrücke berichten. Dem «Sieger» winkt eine Heirat mit einem Österreicher oder einer Österreicherin, die den Asylbewerber vor der Abschiebung bewahren wollen. Schlingensief stellt dem Paar eine Hochzeitsreise in das «Herkunftsland des Flüchtlings» in Aussicht. Im Vorfeld war die Aktion heftig kritisiert worden. Medien und Politiker in Österreich hatten das Projekt als «bloße Provokation» abgelehnt. Luc Bondy, der Schlingensief kurzfristig eingeladen hatte, verteidigte die Aktion als Beitrag der Festwochen, auf eine «unerträgliche politische Stimmung» im Lande durch die Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen aufmerksam zu machen. Schlingensief selbst bezeichnete im Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» die Aktion als «Weltausstellung der Freiheit», die sich «durch die Unfreiheit des Betrachters» definiere. Von Irmgard Schmidmaier, dpa
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