junge Welt, 13.06.2000 Syriens Löwe ist tot Präsident Hafez el Assad gestorben. Sohn Baschar auf den Schild gehoben Der syrische Präsident Hafez el Assad ist am Samstag in Damaskus im Alter von 69 Jahren an einem Herzschlag gestorben. Gegen 17 Uhr unterbrach das syrische Staatsfernsehen sein Programm für eine Direktübertragung aus dem Parlament, in dem der Tod des Staatschefs offiziell verkündet wurde. Damaskus versank am Wochenende in einem Meer von schwarzen Bannern und Bildern des Verstorbenen, Trauerkundgebungen bestimmten die Straßen, das syrische Staatsfernsehen sendete religiöse Rezitationen. Hafez el Assads Herkunft aus der in Syrien traditionell ökonomisch und sozial marginalisierten schiitschen Konfession der Alawiten ließ für ihn die Armee als nahezu einzige Möglichkeit für einen sozialen Aufstieg erscheinen. Genauso war die säkularistisch ausgerichtete panarabische Baath-Partei für ihn wie für die Angehörigen anderer religiöser Minderheiten eine naheliegende politische Orientierung. Beide Optionen verfolgte Assad mit der ihm stets zugeschriebenen Cleverness und Beharrlichkeit und wurde bereits mit 36 Jahren Verteidigungsminister. Auf diesem Posten ereilte ihn auch seine schwärzeste Stunde: Am 9. Juni 1967 überrollte ein israelischer Angriff innerhalb von 24 Stunden die als uneinnehmbar angesehenen Stellungen der durch unzählige Säuberungswellen geschwächten syrischen Armee auf den Golan-Höhen. Trotz dieser militärischen Blamage gelang es Assad, seine Position zu festigen und im Jahre 1970 endgültig zur Macht zu kommen. Der Wiedergewinn des verlorenen Golan und die Formung eines politisch-militärischen Gegengewichts zu Israel standen für die nächsten 30 Jahre im Zentrum seiner Außenpolitik. Nach militärischen Teilerfolgen im Oktoberkrieg von 1973 scherte jedoch zunächst Ägypten, Anfang der neunziger Jahre dann auch die PLO und Jordanien aus der anti-israelischen Front aus und ließen Syrien in der wenig beneidenswerten Position des letzten verbliebenen Frontstaates zurück. Innenpolitisch sah er sich bald der massiven Opposition radikaler Islamisten gegenüber, die den Säkularismus der Baathisten ebenso ablehnten wie die starke Präsenz der alawitischen Minderheit im Staatsapparat. Ein bewaffneter Aufstand in der zentralsyrischen Stadt Hama im Jahre 1982 forderte mindestens 10 000 Tote und hatte ein nahezu zehn Jahre andauerndes Klima von Repression und Geheimdienstherrschaft zur Folge. Alle Blicke richten sich nun auf den 34jähren Assad-Sohn Baschar. Schon seit Beginn der 90er Jahre hatte der verstorbene Präsident eine dynastische Lösung vorbereitet. Nach dem Tod des ältesten Sohnes Basil wurde Baschar ab 1996 schrittweise in die Politik eingeführt und ist seit Ende 1998 durch hochrangige außenpolitische Auftritte und eine auf Liberalisierung und Reform ausgerichtete innenpolitische Agenda hervorgetreten. Die im März ernannte neue syrische Regierung unter Premierminister Mohamad Miro gilt als weitgehend vom Präsidentensohn ausgesucht, eine im letzten Herbst unter seiner Ägide eingeleitete Anti- Korruptionskampagne führte zur Suspendierung einer Anzahl hochrangiger Funktionäre aus dem politisch-militärischen Establishment und gipfelte im Selbstmord des geschaßten Premiers Mahmud Az-Zoghbi. Der damit verbundene Austausch eines Teils der militärischen und der Parteielite dürfte die Position Baschar el Assads weiter gestärkt haben. Ob die Operation weit genug fortgeschritten ist, um eine reibungslose Machtübernahme zu garantieren, werden die nächsten zwei Wochen zeigen. In einem ersten Schritt hat das syrische Parlament das Mindestalter für das Präsidentenamt von 40 auf 34 Jahre - das Alter Baschars - gesenkt. Berichten aus Damaskus zufolge soll die Führung der syrischen Baath-Partei in einer Eilsitzung am Samstag abend seine Kandidatur beschlossen haben. Der seit Monaten vorbereitete Parteikongreß am 17. Juni könnte Baschar dann offiziell nominieren und in die Parteiführung wählen, worauf in der für den 25. Juni angesetzten nächsten Sitzung des syrischen Parlaments der von der Verfassung vorgesehene Volksentscheid angesetzt würde. Öffentliche Kundgebungen in Damaskus haben bereits lautstark die »Stimme des Volkes« für den Kronprinzen erhoben. Für die Übergangszeit wird erwartet, daß nicht der während der letzten Wochen weitgehend aus dem Licht der Öffentlichkeit verschwundene langjährige Vizepräsident Abdelhalim Khaddam, sondern Ministerpräsident Mohamad Miro kommissarisch das Präsidentenamt wahrnehmen wird. Alle konstitutionellen und parteipolitischen Weichen sind damit gestellt. Der reibungslose Ablauf deutet darauf hin, daß die Mechanismen für diesen Moment seit Monaten vorbereitet wurden. Wer immer in dieser Situation den designierten Nachfolger herauszufordern gedenkt, würde sich somit eindeutig außerhalb von Partei und Verfassung stellen. Ohnehin scheint fraglich, welche politischen oder gesellschaftlichen Kräfte von solch einem riskanten Unterfangen profitieren sollten. Spätestens seit der schrittweisen ökonomischen Liberalisierung der frühen neunziger Jahre hat sich eine neue, aus Mitgliedern der neuen militärischen und parteipolitischen ebenso wie der alten städtischen Handels- und Finanzelite zusammengesetzte Führungsschicht herausgebildet. Das vordringliche Interesse dieser neuen Elite dürfte die Bewahrung des Status quo und die Umsetzung der von der Regierung Miro mit dem ausdrücklichen Segen Baschar el Assads eingeleiteten weitreichenden Wirtschaftsreform sein. Innerhalb des Militärs haben zahlreiche Umbesetzungen über die letzten zwei Jahre den Boden für die Machtübergabe vorbereitet. Unwahrscheinlich erscheint schließlich auch der immer wieder von amerikanischen und israelischen Experten vorhergesagte gewaltsame Konflikt zwischen dem »alawitischen Minderheitenregime« der Assads und der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit. Allzu gründlich hat die Repression der achtziger Jahre die Strukturen des politischen Islam in Syrien ausgerottet, als daß von dieser Seite noch ein politisches Mobilisierungspotential erwartet werden könnte. Ungewiß sind dagegen die Perspektiven der seit Januar blockierten Friedensgespräche zwischen Israel und Syrien. Bis zur Regelung der Nachfolgefrage dürfte der Prozeß zwar fürs erste auf Eis gelegt bleiben. Da es jedoch auf absehbare Zeit keinem Nachfolger Assads möglich sein wird, hinter die Positionen des verstorbenen Amtsinhabers zurückzugehen, steht Israel nunmehr vor einer klaren und durch keine Verhandlungstaktik mehr zu modifizierenden Alternative: Entweder den auf dem Tisch liegenden syrischen Vorschlag - vollständiger Frieden gegen einen vollständigen Rückzug vom Golan, inbegriffen das Ostufer des Tiberiassees - anzunehmen oder auf absehbare Zeit auf einen Friedensschluß zu verzichten. Heiko Wimmen, Beirut
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