Süddeutsche Zeitung, 13.6.2000 Assads Tod macht vieles ungewiss Syriens neuer Machthaber Baschar muß auch die Feinde im Innern bekämpfen / Von Heiko Flottau Es gibt Gründe, weshalb Jassir Arafat öffentlich darüber nachdenkt, wie viele Jahre ihm wohl noch bleiben, und der Ägypter Hosni Mubarak sich in immer kürzeren Abständen im Ausland medizinisch untersuchen lässt. Die alte Garde arabischer Alleinherrscher stirbt aus. Erst traf es den Scheich Issa von Bahrain, dann die Könige Hassan von Marokko und Hussein von Jordanien, und nun ist mit dem Syrer Hafis el-Assad der vorletzte Repräsentant der Generation verschlagener Tyrannen aus der Politik des Nahen Ostens verschwunden. Allein sein verhasster Nachbar Saddam Hussein aus dem Irak bleibt übrig. Doch bislang haben die neuen arabischen Führer außenpolitisch Kontinuität gezeigt: Abdallah, der neue König Jordaniens, fühlt sich dem Friedensprozess mit Israel verpflichtet. Auch die möglichen Nachfolger Arafats und Mubaraks werden ihre Politik gegenüber Israel kaum ändern. Der große Unsicherheitsfaktor bleibt Syrien. Die Entscheidung, Frieden mit Israel zu suchen, war bei Hafis al-Assad immer an Bedingungen geknüpft. Er war der eigentliche Drahtzieher vieler Konflikte zwischen Arabern und Israelis. Frieden ja - aber nur, wenn jeder Quadratzentimeter arabischen Territoriums zurückgegeben wird. Will der politische Neuling Baschar al-Assad seine Macht nicht sofort wieder verspielen, kann er in einem Vertrag mit Israel nicht hinter die Forderungen seines Vaters zurückgehen. Nur wenn er im Umgang mit Israel die Marschroute des Vaters einhält und Härte zeigt, wird sich Baschar Respekt im Land verschaffen können, den er braucht, um seine Gegner in Schach zu halten. Denn jene, die Baschar mit seiner Anti-Korruptionskampagne verprellt hat, warten schon auf eine Wende ihres politischen Schicksals. Andere, die selbst gern Präsident geworden wären, wie etwa Rifaat el-Assad, der verbannte Bruder des Verstorbenen, lauern schon auf die ersten Fehler des neuen Machthabers. Auch die Moslembrüder, deren Aufstand Hafis el-Assad 1982 blutig niederschlug, haben die Hoffnung auf Revanche keineswegs aufgegeben. Baschar muss also die alten Widersacher irgendwie zufriedenstellen: die herrschende Minderheit der (schiitischen) Alawiten, das Militär, die sunnitische Handelsbourgoisie, die Bürokratie, die Geheimdienste. Doch der Machtwechsel bietet auch die Chancen eines Neuanfanges. Die meisten Syrer, besonders die jungen Leute, erhoffen sich eine wirtschaftliche und politische Wende. Vom Alter und vom Lebensgefühl her ist Baschar mit seinen 34 Jahren einer von ihnen. Die junge Generation des Landes besänftigte er in der Vergangenheit immer wieder mit dem Versprechen, Syrien zu modernisieren, zu öffnen, zu reformieren und zu demokratisieren. In dieser Bevölkerungsgruppe, unter den nach mehr Freiheit drängenden Syrern, muss sich Baschar eine neue Machtbasis suchen. Wenn ihm das gelingt, kann er politisch - vielleicht auch physisch - überleben. In einem schwierigen Balanceakt müssen die alten Kader ruhiggestellt und allmählich ausgemustert, die neuen Eliten müssen gefunden, geformt und in Position gebracht werden. Das Verhältnis zu Israel und der Umbau der syrischen Gesellschaft sind freilich zwei Seiten einer Medaille. Jahrzehntelang hat das Regime vom Feindbild Israel gelebt. Die wirtschaftlichen Opfer, die Assad seinen Landsleuten zumutete, waren, angeblich, stets Opfer im Kampf gegen Israel. Baschar aber, so lassen seine bisherigen Äußerungen vermuten, strebt einen Frieden an, der Syrer und Israelis einander näher bringt. Er will die Öffnung, auch gegenüber Israel. Vater Hafis dagegen wollte lange Zeit nur eine Art Nichtangriffspakt mit Israel. Und mit den anderen Nachbarn stritt er oder er dominierte sie. Die strategische Neubesinnung, die Baschar einleiten könnte, wird nur mit einer jungen Mannschaft und neuer Gefolgschaft gelingen. Denn es war die alte Garde, die von der Abschottung des Landes profitierte, während die jungen Syrer unter der Isolation litten. Restauration oder Zeitwende? Baschar hat sich offenbar schon entschieden. Doch das Ancien Regime ist noch nicht besiegt.
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