Süddeutsche Zeitung, 13.6.2000 Seite 3 Erbe mit Anschluss ans Internet Nach dem Tod des syrischen Präsidenten Hafis el-Assad soll sein Sohn Baschar das Land führen - resolut wie der Vater, aber auch ein bisschen modern / Von Heiko Flottau Kairo, 12. Juni - Dreißig Jahre kannten die Syrer nur einen Herrscher. Jetzt, wo Hafis el-Assad tot ist, sind die Straßen von Damaskus voll von trauernden, weinenden Menschen. Nicht alle, die ihre innerste Stimmung zur Schau stellen, liebten ihren eisenharten Präsidenten. Dass sie ihn zumindest respektierten, zeigen die Tränen in den Gesichtern der Menschen, die spontan durch die Straßen der Hauptstadt Damaskus ziehen. In einer politischen Kultur, in der die Herrschenden Kundgebungen im allgemeinen selbst organisieren, ist das ein Zeichen aufrechter Solidarität mit einem Mann, der im Westen als Diktator eingestuft wird. Wie sehr Assad sein Land im Griff hat, zeigt die Regelung der Nachfolge: wenige Stunden nach seinem Tod änderte das syrische Parlament die Verfassung. Sein Sohn Baschar, 34 Jahre alt, wurde zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte ernannt und soll Präsident werden. Ursprünglich war in der Verfassung vorgesehen, dass ein syrischer Präsident mindestens vierzig Jahre alt sein muss. Mit Sohn Baschar el-Assad, der dem Vater optisch sehr ähnlich ist, soll nun, so heißt es, ein neuer Anfang gemacht werden, zu einer Zeit, da es im Land eine ganze Generation frustrierter junger Syrer gibt, die keine berufliche und keine persönliche Zukunft mehr sehen. Baschar el-Assad verkörpert dieses Streben nach Erneuerung, wobei er sich die Rolle nicht ausgesucht hat und man abwarten muss, ob er sie in dem Maße ausfüllen wird, wie es sich die Menschen wünschen. Und ob er sich die Feinde und Neider vom Halse halten kann. Baschar steht im Ruf, eher ein Feingeist zu sein als ein listiger Machtmensch, der sein Vater war. Eigentlich war ohnehin Basil el-Assad, Lieblingssohn des Vaters, für die Erbfolge ausersehen. Doch der wilde, etwas ungebärdige Sohn des Präsidenten - das Gegenstück zum wohlerzogenen Baschar - fuhr 1994 sein Auto zu schnell in eine Kurve und starb an den Folgen dieses Unfalls. Baschar studierte damals Augenheilkunde in London. Der Vater beorderte ihn zurück und ließ ihn im Militär Karriere machen. In Windeseile brachte es Baschar zum Obersten. Angst vor dem Handy Dann begann die politische Lehrzeit. Als erstes musste sich Baschar in die Libanon-Politik einarbeiten. Dann widmete er sich den inneren Problemen des Landes: stagnierende Wirtschaft, verfilzte Bürokratie, korrupte politische Elite. Das alles in einem Land, das technologisch immer mehr ins Hintertreffen geriet. Das Regime hatte Angst vor Mobiltelefonen, Angst vor dem Internet, Angst vor allem, in dem es eine Gefahr für seinen Bestand sah. Unter Assad, dem Älteren, herrschte im Land Friedhofsruhe. Baschar machte sich ans Werk, gestützt von seinem mächtigen Vater. Der frühe Ministerpräsident Mahmut el-Zobi wurde wegen Korruptionsverdacht unter Hausarrest gestellt und vor Gericht angeklagt. Zobi nahm sich aus Verzweiflung das Leben. Der Jugend verspricht der junge Baschar einen Neuanfang: inzwischen gibt es bereits ein paar Mobiltelefone im Land. Per Internet will er es, so vermuten die Beobachter, an den Rest der Welt ankoppeln. Auch die Wirtschaft soll dadurch belebt werden. Doch noch ist Baschar nicht Präsident, und die alte Garde, der Baschar entgegentreten will, wird sich nicht so schnell geschlagen geben. Die Konkurrenten lauern außerdem nicht zuletzt in der eigenen Familie, seit jeher. Als Hafis el-Assad in seinem Bruder Rifaat einen Gegner um die Macht im Land erkannte, verwies er den Nebenbuhler aus der eigenen Familie des Landes. Machterhalt siegte über Familiensinn. Dieser Rifaat gilt jetzt als größte Bedrohung für Baschar. Als ersten Schritt für dessen Machtsicherung stellte Syrien noch am Montag einen Haftbefehl gegen den seitdem im Exil lebenden Onkel Rifaat aus, um ihn am Betreten des Landes zu hindern. Das außenpolitische Erbe, was der Sohn anzutreten hat, ist gewaltig: Hafis el-Assad hat gegen Ende seiner politischen Laufbahn eine Entscheidung getroffen, die selbst der amerikanische Präsident Bill Clinton eine "strategische" nannte. Assad hat sich für Frieden mit Israel entschieden. Ausländische Politiker, die mit Assad sprachen, wissen, was diese Entscheidung bedeutet. Assad verstand sich als Symbol arabischer Standfestigkeit und als unbezwingbarer Führer im Kampf gegen Israel. Diese Aura der Unbesiegbarkeit und Unnahbarkeit ließ Assad jeden Besucher bis zuletzt durch ein ausgeklügeltes Hofzeremoniell spüren. Politiker, die in Assads Amtssitz hoch über den Bergen von Damaskus empfangen wurden, tauchten ein in eine andere Welt. Wie ein Höfling betritt jeder Gast eine riesige Halle, an deren Ende der Herrscher sitzt. Wer den langen Gang durch den Thronsaal absolviert hat, soll sich so klein wie ein Bittsteller fühlen, der dem König quasi zu Füßen liegt. So empfingen byzantinische Herrscher ihre Untergebenen. Auch wie sich der Besucher während der Audienz zu verhalten hatte, war vorgeschrieben. Assad selbst kreuzte niemals die Beine übereinander. Deshalb durfte es auch keiner der Anwesenden wagen, solch eine legere Haltung zur Schau zu stellen. Denn es war dem Herrscher nicht zuzumuten, dass er der Fußsohlen seiner Gäste ansichtig wurde. Ein Land in Friedhofsruhe Stundenlang konnte Assad Verhandlungen ausdehnen, ohne dass er selbst Ermüdungserscheinungen zeigte - und ohne dass er seinen Verhandlungspartnern die Möglichkeit gab, sich ein paar Minuten zu erfrischen. Während der Libanonkrise von 1996 ließ Assad dem amerikanischen Außenminister Warren Christopher mitteilen, er sei zu beschäftigt, den US-Unterhändler zu empfangen. Bevor Assad zur Tagesordung überging, erging er sich oft in ausgedehnten historischen Exkursen über das historische Schicksal, das Syrien getroffen hat: er sprach über den Verrat der Engländer, die den Arabern nach dem ersten Weltkrieg einen eigenen Staat versprochen hatten, dann aber das "zionistische Gebilde" namens Israel schufen. Assad hat bis zum Schluss persönlich unter dieser für sein Land tragischen Geschichte gelitten. Allerdings hatte Assad stets einen für ihn hoffnungmachenden historischen Vergleich parat: die Kreuzfahrerstaaten, dozierte er, seien nach 200 Jahren verschwunden, mithin werde auch Israel nicht ewig existieren. Sein Land beherrschte Assad mit eisernem Griff. Der große Stabilisator schuf, was ausländische Politiker am meisten schätzen: Kontinuität, Ruhe, Überschaubarkeit, Verlässlichkeit. Stabil war Assads Regime tatsächlich: Gegner hat er rücksichtslos verfolgt. Als 1982 in der Stadt Hama die Muslimbrüder rebellierten, schickte Assad die Armee und schlug den Aufstand nieder. Assad war aber selbst Gefangener der Gewalt. Aus dem Klammergriff der orientalischen Despotie, in den Syrien und seine Herrscher hineingeboren wurden, konnte sich Assad niemals befreien. Deshalb hat er sich zu einem demokratischen Neuanfang auch nie durchgerungen - oder durchringen können. Doch zuletzt war auch Syrien nicht mehr ausschließlich mit Gewalt zu beherrschen. Assad war fähig, stundenlang zuzuhören, er ließ sich Argumente und Gegenargumente vortragen, erlaubte in begrenztem Masse Diskussionen unter Intellektuellen - und entschied dann doch nach eigener Auffassung. Das syrische Volk tolerierte diese Herrschaftsform. Denn viele waren froh, dass Assad jene Wunden heilte, die Jahre der politischen Gewalt, der Putsche und der Gegenputsche geschlagen hatten. Hafis el-Assad, der heute in Qerdaha, seinem Heimatdorf im Küstengebirge oberhalb der Hafenstadt Latakia, begraben wird, war in seinem persönlichen Leben ein Asket. Repräsentationslust, wie sie zum Beispiel Saddam Hussein mit seinen vielen Palastbauten zeigte, lag Assad fern. Assad war verliebt in die Macht, nicht in das Wohlleben. Niemand hat ihn jemals mit der im Lande grassierenden Korruption in Verbindung gebracht. Sein intaktes Familienleben unterschied sich von den Exzessen, die man vielen Herrschern am Golf nachsagt. Seine Mutter war ihm fast wie eine Heilige. Der Verlust seines älteren Sohnes Basil traf ihn hart, nicht nur, weil die Erbfolge vorübergehend nicht geordnet schien. Politische und militärische Vabanquespiele wie die des irakischen Nachbarn waren Assad ein Gräuel. Assad hasste Saddam - so wie Saddam Assad verachtete, oder vielleicht auch beneidete. Denn viele nannten Assad wegen seiner Fähigkeit, als politischer Jongleur zu agieren, den nahöstlichen Bismarck.
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