Neue Luzerner Zeitung (CH), 13.6.2000 Irakische Kurden: Kritik an der Asylpolitik des Bundes Rückschaffung nach Irak stoppen Mit einem Protestmarsch weisen irakisch-kurdische Asylbewerber auf ihre schwierige Lage hin. Gestern machten sie Halt in Luzern. Seit dem 10. Juni ist eine rund sechzigköpfige Gruppe von Kurdinnen und Kurden aus dem Norden des Iraks zu Fuss in der Schweiz unterwegs. Der von verschiedenen Organisationen unterstützte und mitorganisierte Anlass soll auf die heikle Lage dieser Menschen aufmerksam machen. Gestartet wurde in Zürich, Ziel ist Wabern bei Bern, wo am kommenden 16. Juni dem Bundesamt für Flüchtlinge ein Forderungskatalog übergeben werden soll. Der Littauer Roger Marti half bei der Organisation der Marschetappe auf Luzerner Kantonsgebiet mit. Die Situation nordirakischer Menschen sei besonders problematisch, seit das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) seine Weigweisungs praxis im letzten Herbst geändert habe, führte er im Gespräch mit unserer Zeitung aus. Angst und Verunsicherung Gemäss «Solidarité sans frontières», einer der für den Protestmarsch hauptverantwortlichen Gruppe, bestehe derzeit die Gefahr, dass die UNO-Schutzzone, die nach dem zweiten Golfkrieg eingerichtet wurde, wieder ausser Kraft gesetzt werde. Seit dem Washingtoner Abkommen hätten die europäischen Länder damit begonnen, den Norden des Landes als so genannte «safe areas» einzustufen und dementsprechend Vorbereitungen zur Rückschaffung von Vertriebenen zu treffen. So auch die schweizerischen Behörden: Wurden 1998 noch über 70 Prozent der Asylgesuche aus dem Irak gutgeheissen, liege die Quote derzeit unter 40 Prozent und sei weiterhin am Sinken. «Die Verunsicherung und Angst unter den irakischen Asylsuchenden ist gross. Viele warten einen Entscheid der Asylrekurskommission gar nicht erst ab, sondern versuchen, anderswo unterzukommen», hält dazu Silvia Sommer von «Solidarité sans frontières» fest. Keine Zwangsausschaffungen Ganz anders beurteilt man die Lage in Nordirak beim Bundesamt für Flüchtlinge. «Die Rückführung dorthin ist für 95 Prozent der Betroffenen völlig unproblematisch», sagt BFF-Sprecherin Brigitte Hauser-Süess. Die Rückschaffungen seien deshalb kein Problem, weil die grossen offiziellen kurdischen Parteien die Kontrolle über das Gebiet hätten. Hussein unternehme nichts dagegen; seit rund zwei Jahren sei es denn auch zu keinen kriegerischen Vorkommnissen mehr gekommen. «Zudem», so Hauser, «werden die Menschenrechte in Nordirak viel besser beachtet als in Zentral- irak.» Allerdings fänden derzeit aus technischen Gründen keine zwangsweisen Ausschaffungen statt; die freiwillige Rückkehr sei aber möglich. Resolution überbringen Die betroffenen Asylbewerber und Sympathisierende blieben gestern auf dem Luzerner Rathausplatz jedoch dabei: Vor allem politisch unabhängige und gewerkschaftliche Kreise, Frauenorganisationen sowie Intellektuelle, Kunst- und Medienschaffende seien das Hauptangriffsziel der nationalistischen und islamistischen Organisationen im Norden und der Regierungskreise im Zentralstaat, wurde in verschiedenen Reden betont. Im Norden seien es die zwei nationalistischen Parteien PUK (Patriotische Union Kurdistans) und KDP (Kurdische Demokratische Partei) sowie islamische Gruppierungen, die für Repres sion und Vertreibungen sorgten. Am 16. Juni soll in Bern deshalb beim BFF eine Resolution hinterlegt werden, in welcher unter anderem die Wiedereinführung des Rückschaffungsstopps für irakische Flüchtlinge gefordert wird. Alle Asylsuchenden, die sich bis heute in der Schweiz aufhalten, sollen als Flüchtlinge anerkannt und auf Zwangsausschaffungen soll verzichtet werden. JÜRG AUF DER MAUR
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