Frankfurter Rundschau, 14.6.2000 Deutschstunde in Raum 208 In Bayern müssen Einbürgerungswillige einen Sprachtest bestehen: mündlich, schriftlich und oftmals verwirrend Von Iris Hilberth (München) Auf dem Gang der Volkshochschule ist es so still, wie es im Gymnasium immer war, wenn Abitur geschrieben wurde. Wenn jeder Schritt unendlich zu hallen schien. Und wenn die unteren Klassen ermahnt wurden, ja an den Türen vorbeizuschleichen, hinter denen es schließlich um was ging. Prüfungstage. Die verbreiten immer so eine sterile, ehrfürchtige Atmosphäre, und wenn dann am Ende die Tür aufgeht, scheint sich die Anspannung mit einem Mal zu entladen. Dann schwappt warme, muffige Luft auf den leeren Gang, verbreitet Erleichterung. Noch ist die Tür zu Raum 208 in der Münchner Landwehrstraße geschlossen. "Gruppe 1" hat jemand auf einen Zettel geschrieben und außen angeheftet. Drinnen Papierrascheln. Die Stimme der Prüferin: "Sie müssen die Antwort dann ankreuzen. Entweder A: Ich bin noch in der Ausbildung oder B: Ich gehe noch zur Schule oder C: Ich wohne in München." Der "Test Deutsch". Für Ausländer, die in Bayern Inländer werden wollen. Direkt neben der Toilette hat der Ausländerbeirat ein Plakat angepinnt "Keiner ist Ausländer. Nirgendwo." Und auf der Wand gegenüber die Werbebotschaft des Berchtesgadener Lands. Hohe Berge, weiß-blauer Himmel, verlockender Slogan: "Auf nach Bayern". Mit 92 Änderungen hatte der Bundesrat Anfang April eine Verwaltungsvorschrift zum neuen Staatsangehörigkeitsrecht verabschiedet. "Insbesondere ist es gelungen, über den Gesetzesinhalt hinausgehende weitere Erleichterungen bei der Einbürgerung zu verhindern", hatte das Bayerische Staatsministerium des Innern damals mitgeteilt. Und nachdem einen Monat später das Bundeskabinett noch nicht darüber entschieden hatte, gab der bayerischen Innenminister Günther Beckstein seinen hundert Staatsangehörigkeitsbehörden eine "klare Handhabe für die Anwendung" der neuen Vorschriften. Dazu zählt der Sprachtest - wenn "erforderliche Deutschkenntnisse nicht bereits durch entsprechende Zeugnisse nachgewiesen sind". Nun brütet, wer Deutscher werden will, bei den mit der Überprüfung beauftragten Volkhochschulen (VHS) über den Fragen des "Test Deutsch". Entwickelt hat ihn der Bayerische Volkshochschulverband gemeinsam mit der Weiterbildungstestsysteme Gesellschaft in Frankfurt. Er orientiert sich am "Zertifikat Deutsch" der VHS, dauert statt drei Stunden allerdings nur 45 Minuten und stellt niedrigere Anforderungen. Zusätzliche Bedingung Becksteins für Bayern: Der Test muss auch einen schriftlichen Teil enthalten. Hinter der Tür von Raum 208. Zunächst die so genannten kommunikativen Aufgaben, ein Tonband läuft: Die Eltern seien mit den Kindern im Zoo, wird da erzählt, dort gebe es frei laufende Tiere, vor denen man aber keine Angst haben muss. Jetzt gilt es das richtige Kreuz zu machen. A: Die Kinder bekommen im Zoo Essen, B: Heute füttern Sie und Ihre Kinder die Tiere oder C: Ein paar Tiere laufen im Zoo frei herum. Ähnlich wird das Hör- und Leseverstehen geprüft. Um seinen "schriftlichen Ausdruck" unter Beweis zu stellen, muss der Einbürgerungswillige eine Urlaubskarte schreiben. Bei der abschließenden mündlichen Prüfung wird ein Einzelgespräch mit dem Prüfer verlangt. Anhand der Ergebnisse entscheidet die Ausländerbehörde dann, ob die Deutschkenntnisse ausreichen. Wer durchfällt, kann den Test beliebig oft wiederholen, muss allerdings jeweils drei Monate warten. Der Becksteinsche Test ist vor seinem Start insbesondere bei den Ausländerbeiräten auf harsche Kritik gestoßen. "Der gesamte Test, der in 45 Minuten durchgepeitscht werden soll, entpuppt sich als politisches Instrument zur Einbürgerungsverhinderung", teilte Cumali Naz, der Vorsitzende des Ausländerbeirats München, mit. Verwendet würden Begriffe wie "flexibel" und "Frühstücksservice", mit denen auch Inländer Probleme hätten. Ein Hauptschullehrer aus Zusmarshausen hatte den Test einer neunten Jahrgangsstufe vorgelegt. Ergebnis: Nur 28 von 69 Schülern gaben richtige Antworten, 41 Schüler hatten ihre Kreuze völlig verkehrt gesetzt. Knifflige Rätselaufgaben also? Der Ausländerbeirat sagt "ja". Ein Beispiel: "Einbrecher haben am Wochenende in Neuhausen den Tresor eines Drogeriemarktes geknackt und 40 000 Mark Bargeld darin gefunden. Außerdem nahmen sie Zigaretten, Kosmetika und Vitaminpräparate, deren Wert noch nicht bekannt ist. Offenbar wollten die Täter auch noch nebenan in den Supermarkt einsteigen. Dort lösten sie jedoch Alarm aus und mussten ohne Geld flüchten. Am gleichen Tag wurde aus dem Büro eines Malermeisters in der Luisenstraße die Kasse mit 3000 Mark gestohlen. Die Einbrecher hatten - laut Polizei - wahrscheinlich einen Schlüssel zum Büro." Was ist nun richtig, was falsch? A: Die Einbrecher nahmen Zigaretten, Kosmetika und Vitaminpräparate im Wert von 40 000 Mark mit, B: Am Wochenende wurden bei zwei verschiedenen Einbrüchen mehr als 40 000 Mark gestohlen, C: Die Einbrecher nahmen aus dem Supermarkt alles Geld mit. "Da drängt sich der Eindruck auf, dass der Test so konzipiert ist, dass er möglichst viel Verwirrung stiftet", sagt der Ausländerbeirat München. Und die Sache mit der Urlaubskarte bezeichnet er als "entwürdigende Prozedur", weil sich viele gar keinen Urlaub leisten könnten. Auch der Ausländerbeirat in Nürnberg spricht sich gegen den bayerischen Sonderweg aus: "Die schriftliche Prüfung sollte kein Kriterium für den Nachweis ausreichender Deutschkenntnisse sein." Die Arbeitsgruppe Zuwanderung der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag aber ist sich einig: "Der Sprachtest ist nicht zu schwierig. Am Ende der Integration sollten Sprachkenntnisse so weit vorhanden sein, dass diese Sprachprüfung kein Problem darstellt." In Holland und Frankreich seien die Tests wesentlich schwieriger. Auch hätten die Ausländerbehörden eine "flexible Handhabung und einen Ermessensspielraum" für bestimmte Personengruppen wie Ältere und Analphabeten. "Es geht bei dem Test darum, was braucht man vor Ort, so dass man Anteil an der deutschen Zivilisation hat", sagt Martine Guignier, die Sprachenreferentin des Bayerischen Volkshochschulverbands. "Die ersten Tests sind jetzt vorbei, und wir sammeln die Erfahrungen. Dann werden wir sehen, ob es Fragen gibt, die nicht klar genug sind." Bis zum 17. Juli gäbe es an den 217 bayerischen Volkhochschulen keinen Tag ohne Prüfungen, "bis jetzt sind sie gut gelaufen, die Durchfallquote ist sehr gering". Um den Leuten die Angst zu nehmen, böten sie Vorbereitungskurse an, die auch sehr gut angenommen würden. Eine Mitarbeiterin der Münchner VHS bestätigt: "Wenn Sie lesen können und gut zuhören, dann ist es zu schaffen." Seit das neue Staatsangehörigkeitsgesetz im Januar in Kraft gesetzt wurde, ist in München die Anzahl der Anträge rasch gestiegen. "Wir hatten nach viereinhalb Monaten schon so viele wie im gesamten vergangenen Jahr, mehr als 3000", berichtet die Sprecherin des Kreisverwaltungsreferats, Elke Zehetner. Der Sprachtest habe sich nicht erkennbar ausgewirkt. In Nürnberg hingegen war die Zahl der Einbürgerungswilligen im Januar um das Dreifache gestiegen und hat nach der Einführung des Deutschtests nachgelassen. "Die Angst vor dem Test ist sehr verbreitet, aber wenn es sich rumspricht, dass die Durchfallquote recht gering ist, wird sich das legen", meint Christian Tzewik, Leiter des Einwohnermeldeamts. Er bezeichnet den Test als Erleichterung. "Früher musste man ein Diktat schreiben, aber jetzt ist die Palette viel breiter gefächert." Die Tür zu Raum 208 geht auf. Marion aus Peru ist "noch ganz aufgeregt", sagt sie. Aber es sei ganz okay gewesen. Auch Qerim aus Albanien hat den ersten Teil hinter sich gebracht: "War nicht so schlimm." Seit zehn Jahren lebt er in Deutschland, will durch die Staatsbürgerschaft "mehr Freiheiten" bekommen. "Aber manche Fragen waren wie beim Führerschein", sagt er, "da hätte man mehreres ankreuzen können." Mit der Post zum Beispiel. "Da fragen die, ist die Post da? Das kann heißen, ob sie da in der Straße ist oder ob die Post angekommen ist."
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