DER STANDARD (A), 14. Juni 2000, Seite 4

Verhältnis Türkei - Iran weiter belastet

Folge der Affäre um angeblichen Überläufer Behbahani - Unklare Hintergründe

STANDARD-Korrespondent Jürgen Gottschlich aus Istanbul

"Immer wenn es um wirkliches Insiderwissen ging, war der Mann leer." In einer am Wochenende in der Washington Post veröffentlichten Stellungnahme machten US-Regierungsbeamte kein Hehl mehr daraus, dass sie den vermeintlichen iranischen Überläufer Ahmet Behbahani für einen Hochstapler halten. "Der Mann", zitiert die Zeitung aus gut informierter Quelle, "wusste lediglich einige oberflächliche Dinge über den iranischen Geheimdienst . . . Er konnte uns zu keinem Zeitpunkt wirklich überzeugen. Seine wahre Identität ist unklar."

Damit scheinen die Geschichte über die iranische Urheberschaft des Lockerbie-Anschlages genauso wie die vermeintlichen Neuigkeiten über den Mord an Kurdenführer Ghassemlou in Wien und andere Enthüllungen des Mannes endgültig vom Tisch. Der türkische Geheimdienst hatte bereits vor Tagen angedeutet, dass man den Mann, der Anfang März aus dem Iran flüchtete und sich seitdem in der Obhut des türkischen MIT und der CIA befindet, nicht für sehr glaubwürdig hält.

Polizeischlappe

Zu dieser Einschätzung mag auch geführt haben, dass die türkische Polizei in der letzten Woche eine peinliche Schlappe zugeben musste. Zwei Männer einer türkischen islamistischen Terrorgruppe, die man vor drei Wochen als Mörder des bekannten Journalisten Ugur Mumcu der Öffentlichkeit präsentiert hatte, kommen nach den letzten Ermittlungen für die Tat nicht in Frage. Schlimmer noch, einer der beiden war offenbar selbst ein Spitzel des Geheimdienstes. Obwohl der türkische Innenminister Sedat Tantan es nicht zugeben wollte, waren die beiden offenbar aufgrund eines Hinweises von Behbahani verhaftet worden.

Die Weltöffentlichkeit erfuhr von Behbahani, als der US-Fernsehsender CBS am Sonntag vor einer Woche ein Interview mit dem Iraner ausstrahlte. Auch darüber, wie dieses Interview eigentlich zustande kam, herrscht Unklarheit. Der Gouverneur Hüseyin Önal, in dessen Zuständigkeitsbereich das Flüchtlingscamp Yozgat liegt, wo das Interview mit Behbahani geführt worden sein soll, bestreitet, dass ein US-Fernsehteam in das Camp gelangen konnte. "Das war eine fabrizierte Geschichte", wird er in der türkischen Daily News zitiert.

Besuch abgesagt

Für die Türkei ist der Fall Behbahani aber mehr als nur eine Polizeischlappe. Das Verhältnis zum Nachbarland Iran ist seit langem gespannt, und die jüngsten, vermeintlichen Enthüllungen über iranische Beteiligungen an Terroranschlägen in der Türkei haben die Beziehungen weiter verschlechtert. So sagte der türkische Präsident Ahmet Necmet Sezer trotz einer besonderen Einladung seines iranischen Kollegen Mohammed Khatami einen Besuch in Teheran kurzfristig ab.

Die iranische Seite hatte bereits unmittelbar nach Ausstrahlung der CBS-Sendung behauptet, der angebliche Behbahani sei nie ein Mitarbeiter des iranischen Geheimdienstes gewesen, sondern ein Krimineller, der aus einem Gefängnis in Teheran ausgebrochen sei.

So dubios die Figur des angeblichen Überläufers auch ist - die Spuren, die auf eine iranische Urheberschaft bei Terroranschlägen auf Dissidenten im Ausland und auf laizistische Kritiker des politischen Islam in der Türkei hinweisen, sind damit nicht verschwunden. Eine Aufklärung wird aber wohl noch schwerer werden als bisher.