Süddeutsche Zeitung, 14.6.2000 Meinungsseite Der dynastische Wechsel in Syrien macht den Frieden mit Israel nicht wahrscheinlicher / Von Rudolph Chimelli In Syrien selber mag sich unter Assad II. einiges bewegen - obwohl ein Blick auf andere nahöstliche Länder zeigt, dass Internet und Mobiltelefone nicht gleich bedeutend sind mit Liberalisierung. An der politischen Geographie der Region dürfte sich indessen unmittelbar wenig ändern. In den Friedensgesprächen mit Israel, die ohnehin in der Sackgasse stecken, wird der designierte Staatschef Syriens nicht weniger verlangen als sein Vater: Die Räumung der gesamten Golanhöhen und des östlichen Ufers des Sees Tiberias. Israelische Souveränität über den ganzen See wird Damaskus als Teil einer Gesamtlösung hinnehmen, Verfügung über das Ostufer und das Wasser der Quellflüsse nicht. Wo Assad senior keine Konzessionen machte, will es sich Assad junior schon gar nicht leisten, zumal nicht ersichtlich ist, was es ihm während Bill Clintons letzten Amtsmonaten in den USA und angesichts der Schwäche des israelischen Premiers noch einbringen könnte. Den Südlibanon haben die Israelis ohne Gegenleistung geräumt. Es war der letzte Erfolg der Strategie Assads, erzwungen durch den Abnutzungskrieg, den in Stellvertretung der Syrer die libanesischen Hisbollahi führten. Dabei waren dieser Strategie fast alle Stützen weggebrochen. Für den arabisch-israelischen Konflikt galt lange Zeit das Motto: "Kein Krieg ohne Ägypten, kein Frieden ohne Syrien." Zuerst arrangierte sich Kairo mit dem jüdischen Staat. Dann entfiel die Sowjetunion als Syriens Beschützer. Die Libanesen konnte Assad hindern, ihren Frieden mit Israel zu machen, die Jordanier nicht. Als sich am Ende sogar die PLO auf den Friedensprozess einließ, war Damaskus weitgehend isoliert. Es blieb das anti-irakische Zweckbündnis mit Teheran sowie ein gewisses Anerkennungskapital für Syriens symbolische Beteiligung am Golfkrieg auf Seiten der Erdölmonarchien. Der Halbsatz "kein Frieden ohne Syrien" ist die letzte Trumpfkarte im Spiel der Dynastie Assad. Dazu gehört auch das Protektorat über den Libanon. Schon vor Jahren hatte der verstorbene Präsident seinem zum Nachfolger ausersehenen Sohn Baschar die Zuständigkeit für das Nachbarland übertragen, in dem 35 000 Mann syrische Truppen stehen. Baschars rechte Hand dort ist Libanons Nachrichtendientschef, General Ghasi Kanaan. Das Oberhaupt des gesamten militärischen Sicherheitsdienstes Syriens, Assef Schaukat, ist ein Schwager des präsumtiven Präsidenten. Längst ist auch der Chef der allwissenden Inneren Sicherheit, General Baschrat Suleiman, vom verbannten Bruder des toten Präsidenten zu Baschar übergelaufen. In keiner Hinsicht ist der neue Mann eine Gallionsfigur. Die seit Frühling amtierende Regierung wurde bereits weitgehend nach seinen Vorstellungen gebildet. Baschar Assad wird weder ohne solide Garantien die Kontrolle über den Libanon aus der Hand geben noch sonst dazu bereit sein, im arabischen Konzert Piccolo-Flöte zu spielen. Die neue Flexibilität, die viele von ihm erwarten, dürfte mehr in den Formen als in der Substanz liegen. So zog er sofort die Grenzen der erhofften ökonomischen Liberalisierung, ohne die eine Genesung der maroden Wirtschaft nicht vorstellbar ist. "Keine Priorität", sagte er in einem jetzt veröffentlichten Interview über eine eventuelle Privatisierung der Staatsindustrien. In rascher Folge wurde in den vergangenen Jahren die alte Garde in der arabischen Welt abgelöst. In Jordanien, Marokko und Bahrain bestiegen junge Herrscher den Thron. Weitere Veränderungen lassen sich absehen. König Fahd von Saudi-Arabien und PLO-Chef Jassir Arafat sind gesundheitlich in schlechter Verfassung. Der ägyptische Präsident Hosni Mubarak zeigt keine Schwäche, amtiert aber bereits seit zwei Jahrzehnten. Dass Generationswechsel an der Spitze tief greifende Erneuerung bewirkt, hat sich jedoch nicht bestätigt. Das Protokoll wird vereinfacht, die Kommunikation wird besser, die Fassaden werden aufpoliert, besonders korrupte oder unbeliebte Politiker werden abgehalftert. Aber die Machtstrukturen bleiben erhalten. Dass Syrien unter allgemeinem Beifall zur Erbmonarchie wird, ist kein Zeichen für Modernisierung.
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