junge Welt, 16.06.2000 Türkischer Geheimdienst ohne Kontrolle? Levent Kanat ist der Rechtsanwalt des vor elf Monaten aus Moldawien entführten PKK-Funktionärs Cevat Soysal. jW sprach mit ihm F: Der Kurde und PKK-Funktionär Cevat Soysal, der in der BRD seit Jahren als politischer Flüchtling anerkannt war, steht derzeit in Ankara vor Gericht. Er wurde vor fast elf Monaten aus der Republik Moldawien entführt und in die Türkei verschleppt. Wie lief diese Entführung ab? Am 13. Juli des vergangenen Jahres hielt sich Cevat Soysal in Moldawien in der Wohnung von Bekannten auf. Seinem eigenen Bericht zufolge hat er morgens diese Wohnung verlassen, um seine Frau in Deutschland anzurufen. Kaum hatte er das Haus verlassen, wurde er von drei Personen, die moldawisch sprachen, überfallen. Er selbst war völlig überrumpelt; die drei Männer zogen ihm einen Sack über den Kopf und verfrachteten ihn in ein Auto. Er wurde während der ganzen Zeit geschlagen. Nach etwa eineinhalb Stunden kamen sie an einen Ort, bei dem mein Mandant anhand der Stimmen meint erkannt zu haben, daß es sich um einen Militärflughafen handelte. Dort wurde er an türkisch sprechende Personen übergeben. Sie brachten ihn in die Türkei. F: Cevat Soysal war aber doch etwa acht Tagen verschwunden? Er wurde am 13. Juli in die Türkei verschleppt, dort jedoch zu keiner offiziellen Polizeidienststelle gebracht. Er befand sich in den Händen von türkisch sprechenden Personen, die ihn verhörten. Ihm wurden Drogen verabreicht, und er wurde auf jede erdenkliche Weise gefoltert. Erst am 21. Juli tauchte er bei der Antiterrorabteilung des Polizeipräsidiums in Ankara wieder auf. Über den Ort, an dem er während dieser acht Tage gefangengehalten und mißhandelt wurde, ist nichts bekannt. Aufgrund der Entfernungen, die mit dem Pkw zurückgelegt wurden, geht mein Mandant davon aus, daß es sich um einen Ort innerhalb Ankaras handelte. Er geht auch davon aus, daß es sich um eine Stelle des türkischen Geheimdienstes MIT in Ankara handelt. Interessanterweise wurde er nach dem 21. Juli auf dem Polizeipräsidium nicht mehr verhört. Man versuchte, ihn soweit »wiederherzustellen«, daß die deutlichen Folterspuren nicht mehr allzu offensichtlich waren, denn am 23. Juli wurde er dem Gericht vorgeführt und Untersuchungshaft angeordnet. Das Absurde ist, daß auch in den Gerichtsakten der 21. Juli als Datum der Festnahme vermerkt ist. F: War denn in der Türkei nicht bekannt, daß Cevat Soysal gekidnappt worden war? Doch, natürlich. Es wurde über alle Fernsehkanäle verbreitet, sogar der damalige Staatspräsident Süleyman Demirel hatte stolz erklärt, »wenn es darauf ankommt, bringen wir die Leute sogar aus Moldawien hierher«. All das fiel in die Zeit des Türkeibesuchs von Außenminister Fischer. Bis heute wissen wir über den Verbleib unseres Mandanten während der acht Tage nichts. Wir haben uns auch an die Ärzte des Gerichtsmedizinischen Instituts in Ankara gewandt, die die Folterspuren meines Mandanten behandelt haben. Der Arzt sagte, er dürfe keine Auskunft geben. Auch der Staatsanwalt hat uns jede Auskunft verweigert. F: Wo befindet sich Ihr Mandant jetzt? Er sitzt derzeit im Zentralgefängnis von Ankara in Ulucanlar. In einer Gemeinschaftszelle, die eigentlich für acht Personen vorgesehen ist, ist er mit 20 weiteren Gefangenen untergebracht. Gesundheitlich geht es ihm jetzt aber besser. F: Wie ist der Stand im Gerichtsverfahren? Bisher haben zehn Verhandlungstage stattgefunden. Für meinen Mandanten wird nach õ 129 des türkischen Strafgesetzbuches, das ist der Separatismusvorwurf, die Todesstrafe verlangt. Es gibt in den Akten allerdings keinerlei Beweise gegen meinen Mandanten. Die Anklage stützt sich auf drei Punkte, die allesamt gegenstandslos sind. Dabei handelt es sich zum einen um Aussagen, die verschiedene Personen gegen meinen Mandanten gemacht haben. Diese Aussagen sind aber allesamt unter Folter zustandegekommen. Sie wurden von den Personen später widerrufen. Interview: Anna Chondrula
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