junge Welt, 16.06.2000 Ohne Rücksicht auf Verluste In Oldenburg wurden Flüchtlinge routinemäßig geröntgt - ohne Bleischürze In der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (ZASt) Blankenburg (Oldenburg) müssen sich neuankommende Flüchtlinge einer »Routineuntersuchung« unterziehen. Bestandteil der »Untersuchung« ohne Vorgespräch ist auch das routinemäßige Röntgen. Aufklärung über Sinn und Zweck, über mögliche Folgen oder Fragen nach einer Schwangerschaft gibt es nicht. Ebensowenig gab es bis vor kurzen die üblichen Bleischürzen zum Schutz vor den Röntgenstrahlen. Dolmetscher, die Fragen der Flüchtlinge zu der Behandlung beantworten könnten, sind bei den »Untersuchungen« nicht anwesend. Die kurdische Asylbewerberin Sükran K. hat nun Strafanzeige gegen die behandelnde Amtsärztin Frau Dr. Graef gestellt. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat die Ermittlungen aufgenommen. In der siebten Woche schwanger, fand sich Sükran K. in einer Warteschlange wieder: »An dem Tag war es beim Arzt sehr voll, irgendwann waren wir dran, und die Frau, die uns aufgerufen hat, hat uns direkt zum Röntgenraum gebracht und geröntgt.« Gespräche gab es weder vor noch nach der »Untersuchung«. Wenige Tage später wurde ihr ein Zettel durch die Tür geschoben, mit der Aufforderung, erneut zum Arzt zu kommen. Ohne weitere Erläuterungen wurde Sükran K. erneut geröntgt. Tage später wurde sie eher zufällig von einer Freundin über die Gefahren von Röntgenstrahlen aufgeklärt. Aus Angst vor einer möglichen Behinderung ihres Kindes ließ sie es abtreiben. Die Nachuntersuchungen der Ärztin des Gesundheitsamtes blieben ohne Befund. Weil Sükran K. aber unter starken Schmerzen litt, suchte sie einen unabhängigen Frauenarzt auf. Dieser diagnostizierte eine anormale Schwellung des Uterus und wunderte sich, daß diese erst jetzt und nicht von anderen Ärzten festgestellt wurde. Sven Sommerfeld, Anwalt der Kurdin, erläuterte zu dem laufenden Verfahren gegenüber jW: »Der Arzt hätte vor dem Röntgen sichergehen müssen, daß keine Schwangerschaft vorliegt. Das sei ohne Dolmetscher nicht möglich gewesen.« Geprüft werden nun die Tatbestände Körperverletzung und gefährliche Körperverletzung. In der nächsten Woche wird Sükran K. durch die Staatsanwaltschaft vernommen werden. Inzwischen nutzt die ZASt Blankenburg Bleischürzen. Dazu bedurfte es aber offenbar der energischen Aufforderung der Beratungsstelle, die Sükran K. vor ihrer Abtreibung aufgesucht hatte. Ob sich an der sonstigen Praxis etwas ändern wird, ist eher fraglich. Nach Aussagen der Betroffenen laufen die Untersuchungen wie am Fließband ab - Hauptsache schnell. Laut Gesundheitsamtes sind »Dolmetscher ... bei Röntgenterminen üblicherweise nicht anwesend«. Und auch ansonsten sieht es mit der medizinischen Behandlung der Flüchtlinge im Lager eher übel aus. Behandelt werden nur Notfälle. Wer Notfall ist und wer nicht, entscheidet die zuständige Amtsärztin. Legitimiert ist das Ganze durch das Asylbewerberleistungsgesetz (õ 4): »medizinische Leistungen (sind) lediglich bei Notfällen und zur Schmerzlinderung vorgesehen ...«. Chronische Krankheiten werden grundsätzlich nicht behandelt. Anke Fuchs
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