junge Welt 20.06.2000 Wie stehen Chancen auf neues Verfahren für Mumia Abu-Jamal? Leonard Weinglass verteidigt Mumia Abu-Jamal vor der amerikanischen Justiz. jW sprach mit ihm F: Im Fall Mumia Abu-Jamal wird schon seit Ende April eine Entscheidung von Bundesbezirksrichter Yohn in Philadelphia zu einem Wiederaufnahmeverfahrens erwartet. Trifft es zu, daß Richter Yohn bei seiner Entscheidungsfindung keine Frist beachten muß? Ja, es gibt keine zeitlichen Vorgaben. Er wird sich einen Zeitpunkt aussuchen, der in seine eigene Planung paßt. Das kann im Juli sein oder auch im September. Und wir erfahren das erst durch eine formale Benachrichtigung von Yohn. F: Und dann wird eine Frist zum ersten öffentlichen Gerichtstermin genannt? Nein, auch dafür gibt es keine Regeln. Wenn der Richter jedoch vernünftig vorgehen will, dann wird er einen Termin wählen, der allen Beteiligten die Möglichkeit einräumt, anwesend zu sein. Aber im Moment ist keine Vorhersage möglich. Offensichtlich ist er keineswegs in Eile. F: Nach Einschätzung der Anwälte wird es drei mögliche Entscheidungen von Richter Yohn geben: Die Ablehnung der Berufung, die Genehmigung einer Anhörung oder die sofortige Anordnung eines Wiederaufnahmeverfahrens. Wie geht die Bekanntgabe vonstatten? Es wird einen Termin im Gerichtssaal geben, bei dem Mumia anwesend sein wird. Das ist sicher. Was Yohn allerdings an diesem Tag oder nach diesem Tag tun wird, kann niemand sagen. Es gibt 29 verschiedene Verfahrensrügen, die Grundlage unseres Berufungsantrages sind. Über einige dieser Rügen könnte er während der ersten mündlichen Anhörung entscheiden. Aber auch das ist nicht verläßlich. Auch ist nicht klar, ob wir überhaupt eine beweiserhebende Anhörung haben werden. Yohn wird unsere Argumente dazu hören wollen und dann über die Anhörung entscheiden. F: Kann es auch eine Entscheidung für ein Wiederaufnahmeverfahren ohne eine Anhörung geben? Ja, der Richter könnte auch ein neues Verfahren anordnen, ohne vorher eine Anhörung durchzuführen, einfach auf der Basis der vorliegenden Akten und Anträge. F: Und wenn er eine Anhörung anordnet, dann könnten darin endlich alle entlastenden Beweise vorgebracht werden, und Yohn würde danach abschließend entscheiden, ob das Wiederaufnahmeverfahren zugelassen wird? Genau das kann und wird hoffentlich passieren. Man muß dazu wissen, daß der Bundesrichter die Person mit der größten Entscheidungsfreiheit im gesamten Regierungssystem der USA ist. Nur Bundesrichter sind auf Lebenszeit ins Amt berufen. Sie müssen sich keiner Wahl stellen wie alle anderen Richter. Und sie müssen niemandem gegenüber Rechenschaft ablegen. Das ist eigentlich eine gute Einrichtung, aber sie gibt den Bundesrichtern auch die Macht, Termine völlig frei anzuberaumen. F: Die Kampagne in den USA ruft dazu auf, am »Tag X« in Philadelphia zu sein und im und vor dem Gericht massenhaft Präsenz zu zeigen nach dem Motto »The whole world is watching!« Der erste mögliche Termin im Gericht ist auch der einzige Tag mit der Garantie, daß wir dann auch alle dort anwesend sein werden. Aber das wird noch nicht die erwähnte beweiserhebende Anhörung sein. Nach diesem Tag werden wir wissen, was dieser Richter denkt und vorhat. Was danach passiert, ist völlig unklar. F: Wird es internationale Beobachter geben? Es werden Beobachter aus Japan, aus Frankreich, Deutschland und Italien erwartet. Üblicherweise sind das Rechtsanwälte. Yohn ist ein korrekter Richter, er möchte als fair angesehen werden, deshalb glaube ich nicht, daß er Beobachter an der Teilnahme hindern wird. Es wäre natürlich wunderbar, wenn wir diese Beobachter ganz formal dem Gericht vorstellen könnten. Yohn ist aber dafür bekannt, daß er sehr empfindlich auf alles reagiert, was ihn unter Druck setzen könnte. In jedem Fall begrüßen wir die Teilnahme internationaler Beobachter und werden versuchen, mit Richter Yohn vorher darüber zu reden und reservierte Plätze für sie zu bekommen. Wir erwarten von diesem Richter, daß er in den Saal kommt, seinen Platz einnimmt und sofort klarmacht, wohin sich die Sache entwickeln wird. Er wird keine Zeit vergeuden. Er wird sich keine stundenlangen Vorträge der Anwälte anhören. Das will er nicht. Er weiß, welche Fragen er stellen muß. So haben wir ihn bisher erlebt, als kompetent und effektiv. F: In welchem allgemeinen Klima in den USA bezüglich der Frage der Todesstrafe wird Yohn entscheiden? Die nächsten ein bis zwei Monate werden in den USA richtungweisend im Hinblick auf die Todesstrafe insgesamt sein, nicht nur in Mumias Fall. Zum Beispiel ist für den 22. Juni in Texas die Hinrichtung des Afroamerikaners Shaka Sankofa (Gary Graham) angesetzt. Sollte er hingerichtet werden, wäre das ein sehr schlechtes Zeichen. Wir haben es ja hier mit Texas und dem Präsidentschaftskandidaten, Gouverneur George W. Bush, zu tun. Die Tatsache, daß Bush vergangene Woche in einem anderen Fall einen Hinrichtungsstopp anordnete, ist äußerst bemerkenswert. Aber das war ein besonderer Fall, der war nicht politisch, und es war ein DNA- Fall, der leicht zu klären war. Ein Test, an dem sich entscheidet, ob jemand hingerichtet wird oder nicht. In Sankofas Fall geht es um die Frage, ob einem Augenzeugen geglaubt wird und ob die neuen Beweise seine Glaubwürdigkeit untermauern oder nicht. Sankofas Fall ist viel komplizierter und sein Ausgang wird das Klima der nächsten Zeit entscheidend beeinflussen. Interview: Jürgen Heiser
|