Frankfurter Rundschau 21.06.2000 Polizei fürchtet um Sicherheit der überlebenden Dover-Flüchtlinge Chinesen sollen Hinweise auf Hintermänner der Schleuserbanden geben / Bericht über Festnahme des Speditionschefs Die britische Polizei hat die beiden einzigen Überlebenden der Flüchtlingstragödie von Dover am Dienstag unter Schutz gestellt. Die Ermittler befürchten offenbar, dass die Hintermänner der Schleuserbanden den beiden Chinesen nach dem Leben trachten. LONDON, 20. Juni (rtr/ap/afp). Die britische Polizei erhofft sich von den Aussagen der beiden Chinesen, die den Flüchtlingstransport im britischen Dover überlebt haben, entscheidende Hinweise auf die Menschenschmuggler. 54 aus China stammende Männer und vier Frauen waren qualvoll im Laderaum eines Gemüsetransporters erstickt. Die Überlebenden sollen so bald wie möglich befragt werden. Die beiden Männer, die unter Schock standen, waren zunächst in Krankenhäusern der Region behandelt worden. Ein Klinikmitarbeiter berichtete, sie hätten einem Übersetzer von ihrem traumatischen Erlebnis erzählt. Sie seien über Leichen gestolpert und hätten an der Ladetür gerüttelt. Ihr verzweifeltes Rufen habe aber offenbar niemand gehört. Einer der Überlebenden sagte: "Es war, als wäre ein Engel vom Himmel geschickt worden, als die Tür endlich aufging." Inzwischen wurden die Überlebenden an einen geheim gehaltenen Ort gebracht. "Wenn Sie hinter einer Organisation wie dieser stehen würden, würden Sie dann nicht auch versuchen, die Überlebenden zu erwischen?", fragte eine Polizeisprecherin nach Angaben der britischen Presseagentur PA. Das Drama im Fährhafen von Dover trage eindeutig die Handschrift von chinesischen Schlepperbanden, teilten die britischen Ermittlungsbehörden mit. "Sie sind extrem gefährlich und schrecken auch vor der Ermordung ihrer Kunden nicht zurück", sagte Frank Laczko, Experte bei der Internationalen Organisation für Migration (IOM), am Dienstag in Genf. Nach IOM-Informationen töteten Mitglieder der chinesischen Schleusermafia in London erst vor einigen Monaten mehrere Landsleute, die ihre Schulden nicht bezahlen konnten. Die Hinweise auf eine mögliche Verwicklung chinesischer Gangster in den Menschenhandel wurden durch ein Interview bestärkt, das der in Großbritannien niedergelassene Anwalt Wahplow Tan am Montagabend der BBC gab. Er sei von Leuten angesprochen worden, die erzählt hätten, unter den Opfern seien Verwandte. "Sie haben mit uns gesprochen, und wir wissen, dass sie große Angst haben", sagte der Anwalt. Die Leute wollten nicht, dass ihre Namen bekannt würden. Die Toten stammten aber offenbar aus dem Süden Chinas. Der britische Fernsehsender Sky News meldete, dass der Besitzer des Lastwagens, in dem die Chinesen entdeckt worden waren, am Dienstag festgenommen wurde. Dabei soll es sich um einen 24-jährigen Niederländer handeln, der die bislang völlig unbekannte Spedition "Van der Speck" erst vergangene Woche gegründet habe. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es zunächst nicht. Der Fahrer des Lastwagens war am Montag festgenommen worden. Die britische Polizei versucht, in Zusammenarbeit mit den niederländischen Behörden den Menschenschmugglern auf die Spur zu kommen.
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