junge Welt, 22.6.2000 Kurden droht zweite Abschiebung durch deutsche Flüchtlingsbehörden Der Kurde Abdulhalim Nayir, der nach seiner Abschiebung in die Türkei im Februar vergangenen Jahres gefoltert worden war, soll zum zweiten Mal aus Deutschland ausgewiesen werden. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte ein Asylfolgeverfahren unter anderem mit der Begründung ab, Nayir habe schon in seinem ersten Asylverfahren eine politische Verfolgung nicht glaubhaft machen können. Immerhin entschied jetzt das Verwaltungsgericht Osnabrück, daß der Kurde so lange nicht abgeschoben werden darf, bis über seine Klage gegen den Ablehnungsbescheid des Bundesamtes entschieden ist. Nach der ersten Abschiebung im vergangenen Jahr sei Nayir »direkt im Folterkeller gelandet«, berichtet Kai Weber vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat. Beamte einer türkischen Anti-Terror-Einheit hätten den Kurden durch Mißhandlungen und Todesdrohungen gezwungen, Aussagen über seine politischen Aktivitäten zu machen und Bekannte und Verwandte als PKK-Anhänger zu denunzieren. Um sein Leben zu retten, habe Nayir einer Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden zugestimmt. »Ich wollte vor allem nicht mehr gefoltert werden, daher stimmte ich einer Zusammenarbeit zu«, begründete der Kurde selbst später diese Entscheidung. Bei seiner Entlassung aus der türkischen Haft erhielt Nayir von Polizisten einen Zettel mit einer Kontaktnummer, die er regelmäßig anrufen sollte. Gleichzeitig wiesen ihn die Beamten auf das anhängige Strafverfahren wegen Unterstützung der PKK hin. Für den Fall, daß er die Kooperation mit dem Staatsschutz beenden sollte, sei er darüber hinaus mit dem Tod bedroht worden, so Nayir. Mitte März wandte sich der Kurde an den Menschenrechtsverein IHD in Istanbul, der seine Beschwerde über die erlittenen Mißhandlungen und seine Verpflichtung als Spitzel aufnahm und an den Niedersächsischen Flüchtlingsrat weiterleitete. »Wir sind der Überzeugung, daß die deutschen Behörden mitverantwortlich daran sind, daß Abdulhalim Nayir und seine Familie sich in dieser Lage befinden und er gefoltert wurde«, heißt es in dem von einer türkischen Rechtsanwältin unterschriebenen Brief. Um der für ihn unerträglichen Situation zu entkommen, plante Nayir im Frühjahr 1999 die neuerliche Flucht aus der Türkei. Die Familie floh im Mai zunächst nach Griechenland, erst im März dieses Jahres gelang ihr die Einreise nach Deutschland. In Köln angekommen, wurde sie jedoch vom Bundesgrenzschutz festgenommen. Abdulhalim Nayir und ein Sohn landeten in Abschiebehaft. Während der Flüchtlingsrat und Pro Asyl überzeugt sind, daß Nayir und seiner Familie im Fall einer Abschiebung Racheakte der türkischen Sicherheitsbehörden, erneute Inhaftierung und Folter drohen, kann das Bundesamt keine drohende Verfolgung ausmachen. Nayir habe sich nicht in einer ausweglosen Notsituation befunden und sei außerdem noch in den Genuß von »Spitzelbelohnungen« gekommen, argumentiert die Behörde in der Ablehnung des Asylfolgeantrags. Eine konkrete Gefahr sei für den Fall einer Rückkehr jedenfalls nicht ersichtlich. Reimar Paul
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