Frankfurter Rundschau, 21.6.2000 CDU/CSU bewegt sich in der Ausländerpolitik Bosbach koppelt Zuwanderung an "deutsche Interessen" In den Unionsparteien werden Konturen einer veränderten Ausländerpolitik deutlich. Die CDU/CSU will weniger Zuwanderer nach Deutschland lassen, dafür aber Ausländer bevorzugt aufnehmen, die "im deutschen Interesse" hier leben. Der Grüne Cem Özdemir würdigte die Vorstellungen als einen großen Schritt vorwärts. BERLIN, 20. Juni (hll/rtr/dpa/ap). Der geschäftsführende Vorstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beriet am Dienstag im brandenburgischen Luckenwalde über eine schriftliche Vorlage ihres stellvertretenden Vorsitzenden Wolfgang Bosbach. In deren Mittelpunkt stand die Aussage, es müsse eine gesteuerte Zuwanderung geben, um "Spielraum zu gewinnen, damit die kommen können, deren Kommen im Interesse der Bundesrepublik liegt", wie Bosbach der Nachrichtenagentur Reuters erläuterte. Nach einem Bericht der Berliner Morgenpost enthält Bosbachs Entwurf eines ausländerpolitischen Konzepts den Gedanken, Einreisewillige, die in der Bundesrepublik gebraucht würden, sollten "mit offenen Armen und ohne Ressentiments" aufgenommen werden. Deutschland als Gastland müsse bei der Steuerung seine "legitimen, wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Interessen" beachten. Kürzlich hatte der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz diese Richtung bereits angedeutet. Er kündigte an, die Union müsse "klar sagen: Wen wollen wir?" Dann sei es zweitrangig, ob ein Gesetz "Zuwanderungsgesetz" oder "Zuwanderungsbegrenzungsgesetz" heiße. Auch sein Stellvertreter Michael Glos (CSU) hatte erklärt: "Wir wollen weniger Einwanderung, aber stattdessen Einwanderung, die im deutschen Interesse liegt". Für die Aufnahme sollten "nicht karitative" Gesichtspunkte den Ausschlag geben, sondern ob es Menschen sind, "die wir in Zukunft in unserem Land brauchen". Einen radikalen Kurswechsel der Union werde es in dieser Frage aber nicht geben. In einem von CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz vorgestellten Thesenpapier von CDU-Juristen zur Kriminalpolitik war "die kriminelle Belastung legal hier lebender Ausländer" als Besorgnis erregend dargestellt worden. Als Folgerung wurde eine "eindeutige Begrenzung des weiteren Zuzugs von Ausländern" empfohlen, wozu auch die Bekämpfung des Missbrauchs des Asylrechts gehöre. Die CDU/CSU strebt wie bisher an, das Grundrecht auf Asyl in eine "institutionelle Garantie" umzuwandeln. Der innenpolitische Sprecher der Fraktion der Bündnisgrünen, Cem Özdemir, nannte Bosbachs Vorstellungen einen großen Schritt vorwärts zu einer vernünftigen Politik. Sollte die Union es damit ernst meinen, könne sie das bei der Beratung der Green-Card-Regelung im Bundesrat beweisen, sagte Özdemir. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Manfred Kock, sprach sich erneut für ein Einwanderungsgesetz aus, wandte sich aber gegen die Streichung des Asylrechts aus dem Grundgesetz. Im Deutschlandradio warnte er davor, dass Deutschland bei der Diskussion um ein Einwanderungsgesetz "von seinen humanitären Standards abgeht".
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