Frankfurter Rundschau, 21.6.2000 Das Geschäft mit dem Traum vom besseren Leben Zehntausende Chinesen lassen sich auf den modernen Sklavenhandel der "Schlangenkopf"-Schleuserbanden ein Eine halbe Million Chinesen haben nach Schätzungen des Informationszentrums für Menschenrechte und Demokratie in Hong Kong im vergangenen Jahr versucht, aus China auszureisen. Sie sind nicht alle arm oder arbeitslos, sie wollen einfach mehr aus sich machen. Es ist moderner Sklavenhandel, dem sich Zehntausende von Chinesen jedes Jahr hingeben. Trotz Gefahr und Ungewissheit lockt die Aussicht auf besser bezahlte Arbeit in einem fernen Land. "Schlangenköpfe" (Shetou) werden die Schleuser in China genannt, die umgerechnet zwischen 10 000 und 120 000 Mark pro Person verlangen, um Menschen in die USA, nach Kanada, Japan, England oder Australien zu bringen. Die illegalen Auswanderer erfüllen die Voraussetzungen meist nicht, einen Pass für die Ausreise oder ein Visum in die Länder ihrer Wünsche zu bekommen. Vielen Schleusern reicht schon eine Anzahlung. Der Rest kann am Ziel abgearbeitet werden. Meist sind es Männer, die sich auf der Suche nach dem großen Geld aufmachen, so dass in der Südprovinz Fujian schon von verwaisten "Städten der Witwen" die Rede ist. Aus Fujian kamen offenbar auch die chinesischen Einwanderer, die bei der Einreise in Dover tot aufgefunden wurden. Der Provinz geht es wirtschaftlich nicht schlecht. Der Handel mit dem gegenüber liegenden Taiwan und die Investitionen haben die Küstenprovinz boomen lassen. Doch hat Fujian auch eine jahrhundertealte Tradition der Auswanderung. Fujianesen bevölkern die Chinatowns der Metropolen, nicht nur in London. Wer mehr will, als das Dorf, die Stadt oder die Provinz bietet, geht ins Ausland. Vielfach leben und arbeiten die Einwanderer zunächst als Abhängige der "Schlangenköpfe" und ihrer Gangs. Aber Landsleute bieten auch ein Netzwerk mit Hilfe, besorgen Arbeit und damit die Aussicht auf Geld, das auch an die daheim gebliebenen Familien überwiesen wird. Viele leben ohne Papiere illegal im Land, andere beantragen politisches Asyl, das aus offizieller chinesischer Sicht viel zu leichtfertig gewährt wird. "Wenn die meisten geschnappten illegalen Einwanderer bleiben dürfen, ist es schwer, das Bedürfnis anderer abzukühlen, illegal in ein anderes Land zu schlüpfen", sagt Guo Xiqin, Vizedirektor der Grenzverwaltung im Polizeiministerium. Mehr als 9000 haben die Grenzbehörden bei der Ausreise 1999 geschnappt - 60 Prozent mehr als im Vorjahr. Wie vielen die illegale Ausreise gelingt, zeigt Fujian: Es wurden zwei Mal mehr illegale Einwanderer aus dem Ausland repatriiert als bei der Ausreise geschnappt werden konnten. In dem Dorf Houyu in Fujian lebten vor zehn Jahren 12 000 Menschen. "Heute sind es noch 6000", sagt ein örtlicher Polizist. "Früher sind sie ausgereist, um zu überleben. Heute ist es die Auswanderung der nächsten Generationen. Vielleicht glauben sie, dass es leichter ist, im Ausland Geld zu machen." Die rosigen Versprechen der Schleuser, die auch oft zu verbrecherischen Triaden gehören, halten diesen Glauben lebendig. Ein Polizeisprecher in der Südprovinz Guangdong sagt: "Wir halten die Illegalen meist ein paar Tage fest, bis die Untersuchung abgeschlossen ist, dann schicken wir sie nach Hause, weil sie auch nur Opfer sind." Denn die meisten wissen nicht, unter welch katastrophalen Bedingungen sie die Reise in Frachtern oder Containern oft ohne sanitäre Anlagen und ausreichende Nahrung manchmal Wochen auf See verbringen. (dpa/afp)
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