Berliner Morgenpost 22.6.2000 Die Macht hat Rabbi Josef In Israel will die streng-religiöse Schas-Partei Premier Barak scheitern lassen - Die Ultraorthodoxen verlangen mehr staatliches Geld für ihr Schulsystem Von Ulrich W. Sahm Jerusalem - In dem unscheinbaren sozialen Reihenhaus im frommen Jerusalemer Viertel Har Nof befindet sich Israels Machtzentrum. Rabbi Ovadja Josef, 80 Jahre alt und ehemaliger sephardischer Oberrabbiner, hält hier Hof in seiner Wohnung im zweiten Stock. Bücherschränke mit frommen Folianten bedecken die Wände. In dem wenig geräumigen Wohnzimmer, das im Handumdrehen in eine Haussynagoge umfunktioniert werden kann, sind schon der amerikanische und der russische Botschafter gewesen. Palästinensische Delegationen suchten hier nach dem Schlüssel für Israels Verweigerungspolitik. Regelmäßig pilgern die Politiker der großen Parteien zu Ovadja Josef, um sich vor laufender Kamera den Segen geben zu lassen. Wahlentscheidend waren die freundlichen Rabbiworte für Ehud Barak. Selbstverständlich reißen sich die Präsidentschaftskandidaten Schimon Peres und Mosche Katzav um einen Termin beim Rabbi. Der Aschram des allgemein verehrten und allseits gefürchteten Rabbi Josef hat trotz der häufigen Direktübertragungen im Fernsehen nichts von seiner geheimnisvollen Ausstrahlung verloren. In dem Raum mit den Talmudbänden tagt der «Rat der Weisen» und bestimmt den Gang der israelischen Politik. Hinter verschlossenen Türen werden da die Machtkämpfe unter schwarzberockten und bärtigen Männern der Schas-Partei ausgetragen. 17 Abgeordnete hat die Schas bei den letzten Wahlen zur Überraschung der Umfrageinstitute in die Knesset eingebracht. Bei insgesamt 120 Abgeordneten ist diese drittgrößte Partei Israels ein Machtfaktor, an dem seit Itzhak Rabin kein Regierungschef vorbeikommt. Die vier Schas-Minister hatten am Dienstag ihren Rücktritt angekündigt. Sie verlangen mehr staatliches Geld und weniger Kontrolle für das Schulsystem der Partei. Ihr Rücktritt soll heute wirksam werden. Premier Barak suchte indes nach einer Verhandlungslösung. Er versicherte, den Friedensprozess mit den Palästinensern und den beteiligten Ländern fortsetzen zu wollen. Die Schas-Partei wurde 1984 mit dem Segen des Rabbi Schach gegründet. Die Ultraorthodoxen aus Europa hatten eingesehen, dass die orientalischen Frommen nicht weiter von Rabbinern mit mittelalterlicher polnischer Mentalität gelenkt werden könnten. Mit vier Mandaten zog Schas 1984 in die Knesset ein. Deren Parteiprogramm sollte sich schnell bewähren. Weil die Führung dieser Partei eher links gerichtet ist, die Wählerschaft aber stramm rechts, verhält sie sich in der Friedenspolitik neutral. So stimmte sie für Rabins Osloer Verträge mit den Palästinensern und arrangierte sich später mit Netanjahu, als der den Friedensprozess wieder bremste. Grundlage ist die unterstellte ungerechte Behandlung der Einwanderer aus arabischen Ländern wie Marokko, Algerien, Irak und Kurdistan durch die «herrschende Klasse» der Europäer. Das Gefühl der Diskriminierung, wie es Schas schürt, blieb bestehen, als längst die Mehrheit der Kabinettsminister, der Generalstabschef und andere führende Positionen von Juden orientalischen Ursprungs eingenommen worden waren. Wirkungsvolles Wahlkampfmittel waren Bannflüche, Amulette, Weihwasser und Heiligenbildchen, obgleich das vom Gesetz verboten ist. Sogar eine Geisteraustreibung brachte tausende Stimmen. Später stellte sich heraus, dass sie nur gespielt war. Aber bei ungebildeten abergläubischen Israelis bewies sie die «Allmacht» der Rabbis. Auftrieb erhielt Schas, als sich der 1959 in Marokko geborene Arie Derri neben Rabbi Josef eine Machtbasis schuf. Unter Rabin wurde Derri Innenminister und erhielt Zugang zu obskuren «Portokassen». Millionenbeträge flossen unkontrolliert in fromme Stiftungen. So wurde ein umfassendes «privates» Schulsystem mit kostenfreier Verköstigung und Schulbussen in den ärmsten Vierteln aufgebaut. Der Staat finanzierte, hatte aber kein Mitspracherecht beim Lehrplan. Schas errichtete still ein System, mit dem es hunderttausende Israelis seelisch und politisch kontrolliert. Arie Derri stürzte und wurde wegen Korruption zur vier Jahren Gefängnis verurteilt. «Wenn die Europäer auf unserem Rücken reich wurden, können die uns jetzt nicht Vorwürfe machen, wenn wir uns an Steuergeldern bedienen», folgerte er. Der Prozess gegen ihn wurde entsprechend der typischen Schas-Mentalität als fortgesetzte Diskriminierung der Orientalen empfunden. Mit der Losung «Er ist unschuldig» gewann Schas 17 Sitze im Parlament. Da Schas Beschlüsse dem geheimnisvollen «Rat der Weisen» zuschreibt und auf demokratische Strukturen verzichtet, ist sie unberechenbar. Weil ihre Minister und Mitglieder nur auf Gott vertrauen und irdische Gesetze nicht respektieren, kann der jeweils amtierende Ministerpräsident sie nur im Koalitionsboot halten, wenn er ihre finanziellen Forderungen erfüllt - ohne nach der Geldverteilung zu fragen. So war es bei Rabin, Netanjahu und Barak. Schas stürzte schon den Konservativen Netanjahu. Nun will sie Barak Neuwahlen vorschreiben. Mit jedem Koalitionsabkommen gewinnt Schas finanziell dazu und wird noch mehr zu einem «Staat im Staate». Ihr Ziel ist es, Israel in einen Gottesstaat umzuwandeln, in dem alle durch Gebet und frommen Lebenswandel auf den Messias warten. Wenn die Europäer auf unserem Rücken reich wurden, können die uns jetzt nicht Vorwürfe machen, wenn wir uns an Steuergeldern bedienen.
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