Neue Zürcher Zeitung, 24.06.2000 Nr.145 Lieferung von Wasser aus der Türkei nach Israel Trinkwasser als Allgemeingut oder als Handelsware? Die Türkei hat sich gegenüber Israel vertraglich verpflichtet, jährlich 50 Millionen Kubikmeter Wasser gegen Bezahlung zu liefern. Das Wasser wird dem ins Mittelmeer mündenden Fluss Manavgat entnommen. Ankara weigert sich strikt, über die Abflussmenge von Euphrat und Tigris in Richtung Syrien und Irak auch nur zu diskutieren. it. Istanbul, 23. Juni Die Türkei und Israel haben sich am Donnerstag auf den Rahmen eines einmaligen Abkommens zur kommerziellen Nutzung von Süsswasser geeinigt. Demnach verpflichtet sich die Türkei, Israel jährlich mit einer Menge von 50 Millionen Kubikmeter Wasser zu versorgen. Das Wasser wird an der Mündung des Flusses Manavgat, rund 80 Kilometer östlich des türkischen Touristenzentrums Antalya, in zwei Tanker geladen und zu einem Reservoir unweit des israelischen Hafens Ashkelon verschifft. Anschliessend soll es über eine Pipeline in das Versorgungssystem der israelischen Wassergesellschaft eingespeist werden. Die hochrangigen Delegationen konnten sich allerdings auch nach tagelangen Verhandlungen nicht auf einen Preis einigen. Die Gespräche sollen deshalb in der nächsten Woche fortgesetzt werden. Er sei zuversichtlich, dass die zwei befreundeten Staaten das Abkommen bald unterzeichnen, sagte der türkische Energieminister Ersümer. Auch der israelische Delegationschef zeigte sich optimistisch. Angst vor Abhängigkeiten Der geplante Wasserhandel hat bereits zu mancherlei Spekulationen Anlass gegeben. Verschiedene Experten vertreten die Meinung, dass das Abkommen die seit Mitte der neunziger Jahre bestehende militärische und politische Zusammenarbeit zwischen Israel und der Türkei noch weiter vertiefen werde. Besonderes Gewicht wurde dem Umstand beigemessen, dass Wasserlieferungen die Empfänger in ein Abhängigkeitsverhältnis versetzen. Wegen dieser Gefahr wurde der geplante Wasserkauf offenbar in Israel auch nicht allseits begrüsst. Die israelische Wassergesellschaft, das Landwirtschaftsministerium und zahlreiche Wissenschafter lehnen die Pläne der Regierung ab und fordern dafür mehr Finanzen für Alternativlösungen, etwa für neue Entsalzungsanlagen in Israel. Wohl wegen der Angst vor neuen Abhängigkeiten scheiterten bereits ambitiöse Träume des verstorbenen türkischen Präsidenten Özal. Während seiner Präsidentenschaft hatte Özal seiner Nation zu erklären versucht, wie der eigene Wasserreichtum der Türkei den Status einer Regionalmacht ermöglichen werde. Er beschleunigte den Bau des Südostanatolien-Projekts, das den Euphrat und den Tigris mit insgesamt 22 Staudämmen im Süden der Türkei staut. Er entwarf das Projekt «Wasser für den Frieden», mit dem er mittels einer Pipeline durch Syrien, Israel, Jordanien bis hin in die Emirate den Durst des Nahen Ostens stillen wollte. Damals wurde auch das Projekt Manavgat entwickelt. Die Projekte Özals wurden verworfen. Ein Grund für das Scheitern lag im nachbarschaftlichen Misstrauen im Nahen Osten. Strategische Ressource Der Kampf um Wasser prägt bereits jetzt Konflikte im Nahen Osten. Syrien hatte jahrelang die Revolte der Kurden in der Türkei unterstützt, in der trügerischen Hoffnung, auf diese Weise das Stauen des Euphrats in der Türkei verhindern zu können. Ohne Euphrat-Wasser droht Syrien eine katastrophale Wassernot. Wie politisch brisant die regionale Wasserfrage ist, spürte Ankara besonders deutlich zu Beginn des Jahres, als die diplomatischen Friedensbemühungen um den Nahen Osten intensiviert worden waren. Die Wasserprobleme der Region könnten nur in grenzübergreifender Zusammenarbeit gelöst werden, erklärte damals ein Sprecher des amerikanischen Aussenministeriums, die regionale Dimension der Wasserfrage schliesse auch die Türkei ein. Washington soll die Türkei aufgefordert haben, Syrien mehr Wasser aus dem Euphrat zu gewähren, damit Damaskus im Gegenzug seine Ansprüche auf Wasser aus dem See Genezareth aufgebe. Ankara lehnte aber diese Forderung Washingtons ab. Wasser aus Euphrat und Tigris zu teilen oder zu verkaufen, kommt für die türkische Diplomatie einer Verletzung der Souveränität gleich. Die Türkei könne zu den Friedensbemühungen im Nahen Osten lediglich beitragen, indem sie Ländern, die es wünschen, Wasser aus dem Manavgat verkaufe, hiess es im türkischen Aussenministerium. Der erste Schritt wurde nun diese Woche mit Israel getan. Das Wasserabkommen wird in den arabischen Nachbarländern kaum viel Freude auslösen. Für die arabischen Regimes ist Wasser ein Allgemeingut, das man nicht kauft, sondern untereinander teilt. Diese Auffassung vertreten nicht nur der Türkei feindlich eingestellte Länder wie Syrien und der Irak. Mitte März hatte Jordaniens König Abdallah die Aufbereitungsanlagen am Manavgat besucht und das Interesse seines Landes an Wasser aus der Türkei bekundet. Während dieser Besichtigung hatte er mit entwaffnender Offenheit erklärt, er erwarte, dass die Türkei dem befreundeten Jordanien Wasser kostenlos oder zu einem symbolischen Preis abgebe.
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