Neue Zürcher Zeitung, 28.06.2000 Nr.148 Epische Akklamation des Parlaments für Bachar Unwillkommene Kritik an der Verfassungsänderung in Syrien Das syrische Parlament hat am Dienstag die Nominierung von Bachar al-Asad für das Präsidentenamt gebilligt. Die Abgeordneten überboten sich in Loyalitätsbekundungen. Verfassungsrechtliche Mängel, auf die ein Parlamentarier hinwies, wurden übergangen. vk. Limassol, 27. Juni Die syrische Nationalversammlung hat in einer dreitägigen Debatte die Kandidatur Bachar al- Asads gutgeheissen und den 10. Juli für ein Referendum über dessen Bestellung zum Präsidenten festgesetzt. Diese Schau demokratischer Einmütigkeit der Volksvertreter vor laufender Fernsehkamera artete freilich in chaotische Szenen mit störenden Zwischenrufen aus, als ein Abgeordneter im besten Geiste der Zustimmung formelle Unzulänglichkeiten der Prozedur hervorhob. Bachar amtet indes praktisch längst als Staatschef. Er empfing am letzten Donnerstag Uno-Generalsekretär Annan für Gespräche über Libanon und den Verhandlungsprozess mit Israel; weiter trieb er mit neuen Verhaftungen seine Kampagne gegen die Korruption voran. Referendum am 10. Juli «Ich weiss, dass ihr alle eure ganze Liebe und Loyalität zur Führung zum Ausdruck bringen möchtet», räumte Parlamentspräsident Kaddoura am Ende der Morgensitzung am Dienstag ein, aber dann nahm er mit Blick auf die schon dreitägige Debatte die 75 noch ausstehenden Wortmeldungen schriftlich zu den Akten und schritt zum Beschluss: «Die syrische Nationalversammlung stimmt dem Vorschlag der Regionalführung der Baath-Partei und der Empfehlung des Parlamentsausschusses im Konsens zu: Bachar al-Asad wird als Kandidat für eine siebenjährige Amtsperiode als Präsident portiert. Und am 10. Juli befindet das Volk im Referendum darüber.» Der Applaus der 250-köpfigen Kammer ging in Sprechchören unter: «Blut und Seele opfern wir dir, Bachar!» So kam, was der alte Staatschef Hafez al-Asad, «der ewige Führer, der uns aus dem Meer seiner Hingabe erlabte», vor seinem Tod in die Wege geleitet hatte. «Bachar, die Hoffnung, das Versprechen», «der Mann, der alle Karten der Nation in Händen hält», «die Wahl des Herzens, des Verstands, des Gewissens und des Bewusstseins» wird als Präsident bestätigt. Einzig der Abgeordnete Munzir al-Mawsili sang am Montag nicht unisono in dem Jubelchor mit. Er machte geltend, der Parlamentsbeschluss vom 10. Juni über die Herabsetzung des Mindestalters für Präsidenten auf 34 Jahre sei in seiner heutigen Form verfassungswidrig, weil er die zwingenden Gründe für die Motion nicht anführe. Entsprechend viel Mühe hatte er, gegen den einsetzenden Proteststurm im Saal überhaupt klarzumachen, dass er gar nichts gegen die Substanz des Beschlusses einwende, sondern ihn nur in die korrekte Form bringen wolle. Als der Vorsitzende «im Namen der Demokratie» die Auseinandersetzung unterdrückte, schaltete das Fernsehen aus dem Saal hinaus um auf eine Loyalistenkundgebung vor dem Parlamentsgebäude. Aus dem Umkreis Bachars hiess es später, dieser sei ganz einverstanden mit dem Anliegen von Mawsili. Verhaftungen in Partei und Streitkräften Der De-facto-Präsident veranlasste am Samstag die Verhaftung des früheren Vizeregierungschefs Selim Yassine, der zusammen mit dem abgesetzten Ministerpräsidenten Zoobi der Korruption beim Ankauf von Airbus-Flugzeugen 1996 angeklagt wird. Auch Zoobis Verkehrsminister Mufid Abdelkarim wurde vor einem Monat in der Sache verhaftet. Zoobi hat angeblich Selbstmord begangen. Nach Berichten aus Damaskus sind auch in den Streitkräften Säuberungen im Gang, welche auf Anhänger des exilierten Präsidentenbruders Rifaat und des abgetretenen Chefs des Militärgeheimdiensts Ali Duba abzielen; Duba wurde beim letzten Baath-Kongress aus dem Zentralkomitee ausgeschlossen.
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