junge Welt, 29.06.2000

Wasser als Waffe

PDS-Antrag »Keine Hermes-Bürgschaften für den Ilisu-Staudamm« immer noch nicht behandelt.

Von Ute Abraham

Mehr als 40 000 Betondämme stehen heute in den Flüssen dieser Welt. Ihr Staupotential entspricht ungefähr der Größe der Nordsee. Über hundert Dämme sind »Superdämme« mit einer Höhe von mehr als 15 Metern.

In den siebziger Jahren galten Staudämme noch als Symbol für wirtschaftlichen Aufschwung und Unabhängigkeit - heute stehen sie für ein Jahrhundert uneingelöster Versprechen. Dennoch, der Wahn, die eigene Allmacht symbolträchtig zu demonstrieren, ist ungebrochen.

»Ein tausend Jahre alter Traum geht in Erfüllung, den türkische Arbeiter und Ingenieure mit großer Aufopferung in dreizehn Jahre währender Arbeit verwirklicht haben«, schrieb die Zeitung Hurriyet im November 1994. Damals wurde der Urfatunnel eröffnet und »mit einem unbegrenzten Gefühl des Stolzes und des Glücks« (Necmettin Cevheri, Staatsminister) gefeiert. Der Urfatunnel gehört zum gigantischen Südostanatolien-Bewässerungs- und Energieprojekt GAP (Güneydogu Anadolu Projesi). Er verbindet das trockene Gebiet der Harran-Ebene mit dem Herzstück des GAP, dem riesigen Atatürk-Stausee, der ein Fassungsvermögen von 27 Milliarden Kubikmeter Wasser hat. Die Harran-Ebene, eine der ältesten Kulturlandschaften der Erde, sollte zu einem Garten Eden werden. »König der Dämme« nannte die staatstreue Presse den damaligen türkischen Präsidenten Demirel. Ein bombastischer Werbefeldzug der Regierung streichelte das türkische Nationalgefühl und lenkte von innenpolitischen Schwierigkeiten ab. Nur wenige kritisierten das politische Spektakel, das allzu offensichtlich war. Wasser floß nämlich keins, die Bauarbeiten waren zum geplanten Termin nicht fertig geworden. Erst ein Jahr später berichteten die türkischen Nachrichten: Wo einst der biblische Vater Abraham geboren wurde, wo der legendäre Gottkönig Antichos, ein Nachfolger Alexander des Großen, unter einem aufgeschütteten Kegel aus Millionen und Abermillionen Schottersteinen auf dem 2 100 Meter hohen Berg Nemrut begraben liegt, wo die berühmte arabische Universität Haran stand, in der die Algebra erfunden wurde - fließt wieder Wasser.

Nunmehr soll mit dem Bau des Ilisu-Staudamms ein weiteres GAP-Projekt in Angriff genommen werden. Durch Aufstauung von Euphrat und Tigris sowie deren Nebenflüssen sollen 21 Staudämme und 19 Wasserkraftwerke mit einer Kapazität von 8 000 Megawatt und einer jährlichen Elektroenergieerzeugung von 27 300 Gigawattstunden errichtet werden. Die von GAP bewässerte Fläche soll 1,76 Millionen Hektar betragen. Das Gesamtprojekt soll 32 Milliarden Dollar kosten, es ist das größte je in Angriff genommene Industrie- und Infrastrukturprojekt der Türkei.

Weltbank: Kein Darlehen

Die Weltbank hat sich nicht am GAP beteiligt, so daß die Türkei das Projekt aus eigener Tasche finanzieren muß. Die Weltbank und andere internationale Kreditinstitute verweigerten Darlehen, weil sich die türkische Regierung Diskussionen über Dürregefahr und Wassernot verweigerte und auch nicht bereit war, ein völkerrechtlich bindendes Abkommen mit den betroffenen Nachbarstaaten Syrien und Irak zu unterzeichnen.

Innerhalb der kurdischen Bevölkerung ist GAP heftig umstritten. Man befürchtete, daß die Fluchtwege der PKK in die Berge abgeschnitten würden. Mit Anschlägen auf einzelne Staudämme versuchten PKK-Kämpfer, das ganze Projekt zu stoppen. Mit dem Rückzug der PKK ist der Widerstand keineswegs gebrochen. Internationale Vernetzungen mit den Widerständigen in Kurdistan sorgen für Informationsfluß und öffentlichen Druck. So fordert zum Beispiel die Kampagne Let's save Hasankeyf von Medico International zu außerparlamentarischen Aktivitäten gegen die rot-grüne Regierungskoalition auf.

Die Bundesregierung prüft, ob sie Hermes-Bürgschaften für den Ilisu-Damm übernimmt. Der PDS-Antrag »Keine Hermes-Bürgschaften für den Ilisu-Staudamm« bringt sie zur Zeit in Bedrängnis. Entscheidungen im Wirtschaftsausschuß über diesen Antrag wurden bisher verzögert, weil die SPD - laut Bekundungen - einen eigenen Antrag einbringen will. Eine Fraktionsentscheidung liegt aber bisher nicht vor, das läßt immerhin auf Auseinandersetzungen schließen. Bereits im Januar 1999 antwortete die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der PDS-Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, sie werde bei der Entscheidung über die Gewährleistung einer Bürgschaft die ökologischen, sozialen, ökonomischen und sicherheitspolitischen Aspekte des Vorhabens umfassend berücksichtigen.

Umweltfolgen ignorieren?

Diese Aspekte haben die Staudammgegner nicht nur »berücksichtigt«, sondern immer wieder thematisiert. Sie können nicht nur auf Erfahrungen verweisen, die mit Großstaudammprojekten weltweit gemacht wurden, sondern haben auch prominente Experten an ihrer Seite. Daniel Berau, lange Zeit Leiter des Bureau of Reclamation, einer US- Behörde, die mehr Staudämme gebaut hat als jede andere Organisation, reihte sich z. B. vor Jahren in die Widerstandsfront ein. Für ihn ist die Wasserwirtschaft eines der ineffizientesten Geschäfte der Welt. Berau vergleicht große Staudämme mit Atomkraftwerken: »Vordergründig liefern sie billig saubere Energie und Wasser im Überfluß. In der Praxis verursachen sie Schäden, die künftigen Generationen riesige Kosten aufbürden. In den USA wenden wir inzwischen Milliarden Dollar auf, um die negativen Auswirkungen der Dämme zu korrigieren.«

Vor allem verweist er darauf, daß in den meisten Ländern nicht die Knappheit des Wassers das Problem sei, sondern die ineffiziente Nutzung der Wasserressourcen. So belegten zahlreiche Untersuchungen, daß von aufgestautem Wasser, das über Bewässerungskanäle auf Felder gepumpt wird, 45 Prozent verlorengehen. In der Harran-Ebene ist bereits heute eine Überbeanspruchung des Bodens durch Überwässerung und Mißachtung der Erntefolgen zu beobachten. Die in der Baumwollpflanzung gleich tonnenweise eingesetzten Pestizide werden weiter in die angrenzenden Länder geschwemmt. Der Vergleich mit Usbekistan am Aralsee, wo sich die Region nach jahrzehntelangem Baumwollanbau in ein Katastrophen- und Seuchengebiet verwandelt hat, ist nicht unberechtigt. 1960 bedeckte der Araalsee noch eine Fläche von der doppelten Größe Belgiens, heute ist er um knapp vierzig Prozent geschrumpft. Die bewässerten Felder versalzten, das überschüssige Wasser führte zur Bildung von Kloaken. »1989 waren 66 Prozent der Erwachsenen und 66 Prozent der Kinder von einer Krankheit betroffen, die im Zusammenhang mit den Umweltbedingungen stand.« (Oxus, 2/99).

Nach Fertigstellung von GAP werden zirka 700 Kilometer Fließstrecke von Euphrat und Tigris in Standgewässer verwandelt. Das heißt: Der Sauerstoffgehalt verringert sich, das Selbstreinigungsvermögen wird stark reduziert, es kommt zum Artensterben und zur Ausbreitung von Krankheiten, wie z.B. Malaria.

Flußimperialismus

Für den Ilisu-Staudamm sollen 52 Dörfer und 15 Kleinstädte unter Wasser gesetzt werden. Wie viele Menschen weichen müssen, ist nicht genau belegt. Die ansässige Bevölkerung wurde in die Planung nicht einbezogen. Ungeklärt ist auch, ob es Kompensationen in Form von Land oder Geld geben wird. Die Türkei hat zwar versichert, internationale Standards bei der Umsiedlung einzuhalten, bisherige Erfahrungen zeigen jedoch: Im Garten Eden ist nur für wenige Platz. Ehemalige Großgrundbesitzer sind heute stolze Besitzer von Textilfabriken, die wiederum ehemalige Landarbeiterinnen und Kleinbauern zu miserablen Löhnen, ohne Verträge und Sozialversicherungen einstellen. Andere haben ganze Dörfer aufgekauft und warten jetzt auf Entschädigungen. Der Großteil der Landbevölkerung wird eher in den Slums der Großstädte ums Überleben kämpfen oder das Glück im Ausland suchen.

»Die zukünftigen Kriege in dieser Region werden Kriege ums Wasser sein«, bemerkte Verena Wohlleben, SPD- Wehrexpertin. »Mir ist es lieber, wenn wir die Türkei ordentlich mit Panzern ausgerüstet haben, als daß wir im NATO-Fall pflichtgemäß unsere Soldaten dorthin schicken.« Die Regierungskoalition diskutierte da gerade den Antrag der türkischen Regierung auf Lieferung von 1 000 Panzern. Die Äußerung hatte nichts mit einem Erklärungsnotstand zu tun. Unabhängige Experten haben ausgerechnet, daß der Euphrat nach Verwirklichung des GAP statt früher 30 Milliarden Kubikmeter Wasser pro Jahr nur noch etwa elf Milliarden Kubikmeter führen wird.

Bereits 1974, die Türkei hatte den Keban-Stausee am Oberlauf des Flusses aufgefüllt, kam es zu ernsthaften Konflikten mit Syrien. Eine drohende militärische Konfrontation konnte seinerzeit durch die Vermittlung Saudi- Arabiens gebannt werden. Ein Jahrzehnt später ereignete sich ähnliches. Der damalige türkische Ministerpräsident Turgut Özal sicherte der Regierung in Damaskus durchschnittlich 500 Kubikmeter Euphratwasser pro Sekunde während der Füllung des Atatürk-Stausees zu. Syrien war mit der Verringerung dieser Menge (vorher 950 Kubikmeter/Sekunde) nicht einverstanden und forderte auch eine vertragliche Regelung mit allen Anrainerstaaten. Im März 1998 sprach Klaus Töpfer, damals Umweltminister der Bundesrepublik, sich für ein internationales Abkommen aus. Auch er befürchtete, daß es um das kostbare Naß bewaffnete Auseinandersetzungen geben könnte.

Wie Wasser als Waffe eingesetzt werden kann, wurde 1991 demonstriert. Wahrend des Golfkrieges drosselte die Türkei den Wasserzufluß zum Irak. »Rund 5,5 Millionen irakische Bauern, die in der Nähe des Euphrat wohnen, wurden von diesem Flußimperialismus betroffen und eine ähnlich große Zahl von Menschen in Syrien. Trinkwasser ist seither für viele zum Luxusgut geworden. In der südirakischen Hafenstadt Basra kostet ein Liter Trinkwasser fünfzigmal soviel wie ein Liter Benzin.« (Jörg Dietziker: Wasser als Waffe) Der Regierungskoalition wird es also schwerfallen, Argumente zu finden, die für eine Gewährung der Hermes- Kreditbürgschaft in Höhe von 150 Millionen DM sprechen, die die Ravensburger Firma Sulzer für den Bau erhalten soll.

Schließlich soll dem Ilisu-Staudamm ein unersetzliches Weltkulturerbe geopfert werden - die Stadt Hasankeyf. Nach Samsat in der Provinz Adiyaman und Halfeti nördlich vom Birecik-Damm wäre das der dritte archäologisch bedeutende Verlust. Wäre die UNESCO ihrer Aufgabe in der Türkei gerecht geworden, müßte Hasankeyf längst unter den Schutz des UNO-Welterbes gestellt sein. Der Ort hat eine mehrere tausend Jahre alte Vergangenheit und gilt als Wiege von assyrischer, christlicher, islamischer und osmanischer Kultur.

»Let's save Hasankeyf«

Burhan Zegin, Lehrer aus Batman und Autor des Buches »Eine dem Untergang geweihte Stadt«, sagte in einem Interview: »Es hat niemand das Recht, Investitionen zu tätigen zum Preis einer gigantischen Kulturzerstörung, wie sie in Hasankeyf vorgesehen ist.« Arif Arslan, ein Journalist aus Batman, der seit einigen Jahren im Verein zum Schutze von Hasankeyf engagiert ist, informierte Mitglieder der PDS- Fraktion über die Arbeit und Ziele des Vereins. Die Mitglieder kämpfen jetzt um 35 Meter. Würde der Damm um diese 35 Meter reduziert, könnte Hasankeyf gerettet werden. Die Leistung des Kraftwerkes würde sich zwar um 400 Gigawattstunden verringern, durch eine Erneuerung des Stromleistungssystems könnte jedoch viel Energie eingespart werden.

»Let's save Hasankeyf« ist ein Appell an die internationale Öffentlichkeit. Sein Erfolg hängt u. a. davon ab, ob die Bundesregierung der am Bau beteiligten Firma Sulzer Kreditbürgschaften genehmigt. Der hochverschuldete türkische Staat kann der Firma keine hundertprozentige Sicherheit geben. »Mit der Gewährung einer Hermes- Bürgschaft für den Ilisu-Staudamm würde die Bundesregierung mitverantwortlich für die Zwangsumsiedlung Tausender Kurdinnen und Kurden, den Untergang der historisch bedeutenden Stadt Hasankeyf und die mögliche Zunahme von Konflikten in der Region«, heißt es in einem Aufruf von WEED, medico u. a. Diese Dramatik konnte den Delegierten des Bundesparteitages von Bündnis90/Grüne am Wochenende nicht bewußt gemacht werden. Sie waren damit beschäftigt, Fragen der Parteipolitik zu klären.

Bevor jedoch die Parlamentarier ihre Sommerpause genießen können, wird es eine Entscheidung geben. In der nächsten, der letzten Sitzungswoche, wird entweder die Koalition einen eigenen Antrag im federführenden Wirtschaftsausschuß einbringen, oder die PDS fordert eine Geschäftsordnungsdebatte wegen Ablauf der Frist ihres Antrages - die wird dann im Plenum debattiert werden.

Das Ilisu-Projekt in der Türkei - Kosten von 1,52 Milliarden US-Dollar

Der Ilisu-Staudamm soll zirka 65 Kilometer stromaufwärts von syrischer und irakischer Grenze nahe bei der Stadt Dargecit mit einer Länge von 1 820 Metern und einer Höhe von 135 Metern den Tigris aufstauen. Entstehen soll ein See mit einer Fläche von 313 Quadratkilometern und einem maximalen Fassungsvermögen von 10,4 Milliarden Kubikmetern. Ziel des Projektes ist in erster Linie die Produktion von Elektroenergie. Die Kapazität des Kraftwerkes soll 1 200 Megawatt betragen, die jährliche Elektroenergieerzeugung 3 800 Gigawattstunden. Die Bedeutung für die Bewässerung landwirtschaftlicher Nutzflächen ist gering. Es wird jedoch vom DSI (staatliches Wasseramt) als eines von 13 Teilprojekten zur Bewässerung genannt. Die Baukosten werden auf 1,52 Milliarden US-Dollar beziffert. Ein Konsortium unter Führung der schweizerisch-schwedischen Firmen Sulzer und ABB erhielten den elektromechanischen Vertrag. Die Hoch- und Tiefbauarbeiten wurden an ein Konsortium von Balfour Beattie (GB), Impregilo (Italien), Skansaka (Schweden), Nurol, Kiska und Tekfen (Türkei) vergeben. In Deutschland hat Sulzer Hydro aus Ravensburg einen Antrag auf Übernahme von Hermes-Bürgschaften gestellt.