Frankfurter Rundschau, 30.06.2000 Auch in Demokratien werden die Menschenrechte missachtet UN-Entwicklungsbericht registriert immer mehr Wahlen - aber den Armen geht es nicht besser / Platz 14 für Deutschland Von Pierre Simonitsch Das neue Jahrhundert hat mit neuen Bedrohungen der Freiheit begonnen: Das stellt der vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) verfasste Jahresbericht fest. Wahlen allein würden noch keine Menschenrechte garantieren, heißt es in dem Bericht. Auch eine demokratisch gewählte Mehrheit könne Minderheiten unterdrücken. GENF, 29. Juni. Der UNDP-Bericht fordert die internationalen Organisationen einschließlich der Welthandelsorganisation (WTO) auf, sich von Menschenrechtsprinzipien leiten zu lassen. Auch multinationale Konzerne trügen eine Verpflichtung, die Menschenrechte zu respektieren. In den vergangenen 20 Jahren haben in mehr als 100 Staaten die Herrschaften von Einheitsparteien oder Militärjuntas der Wahlurne Platz gemacht, rechnet der Hauptkoordinator den Berichts, Richard Jolly, vor. Damit haben zum ersten Mal in der Geschichte die meisten Staaten der Welt eine demokratische Ordnung. Das UNDP sieht aber die Fortschritte bei den bürgerlichen Freiheiten in vielen Ländern durch wirtschaftlichen Stillstand oder Rezession bedroht. Auch in Demokratien werde Politik oft hinter verschlossenen Türen gemacht, egal, ob es um die Beseitigung von Slums oder um Abholzungen geht, bei denen Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren. Selbst in einem gut strukturierten Rechtsstaat könne Gerechtigkeit für Arme schwer erreichbar sein. Als Beispiel wird Indien genannt, wo infolge des Richtermangels ein Rückstand von 5000 Gerichtsverfahren pro Richter besteht. Bürgerliche und politische Freiheit verleihe allerdings den Menschen die Macht, auch ihre wirtschaftlichen und sozialen Rechte einzufordern, meint der UNDP-Bericht. Es handle sich dabei um die zwei Seiten derselben Medaille. Ohne wirtschaftliche und soziale Rechte würden den Armen - und insbesondere armen Frauen - das Recht auf Bildung und auf die Kenntnis ihrer Rechte vorenthalten. Die Achillesferse vieler Mehrheitsdemokratien sei die Ausgrenzung von Minderheiten. Dies könne zu Gewalt und sogar zu Krieg führen, wie in Sri Lanka und dem früheren Jugoslawien: "Gewalt gegen Minderheiten - selbst wenn diese durch die Verfassung geschützt sind - ist ein brennendes politisches Problem überall in der Welt." Das UNDP verweist dabei auf Westeuropa, wo Einwanderer oft Opfer von Rassismus und Gewalt werden. Wie jedes Jahr enthält der Bericht eine Rangordnung von 174 Staaten, die unter den Gesichtspunkten der Lebenserwartung, der Ausbildung, des Einkommens und anderer sozialer Faktoren bewertet werden. Dabei sei der Reichtum "so ungerecht wie nie zuvor" verteilt, heißt es in dem Bericht. Erneut steht Kanada an der Spitze, gefolgt von Norwegen, den USA, Australien und Island. Deutschland liegt hinter der Schweiz auf Platz 14. Am Ende stehen wie stets die schwarzafrikanischen Staaten mit Sierra Leone als Schlusslicht. Im Detail fallen die Noten oft ganz anders aus. So haben die USA die höchste Armutsrate unter den 18 reichsten Ländern, obwohl sie das zweithöchste Pro-Kopf-Einkommen aufweisen. Bei der Gleichstellung der Geschlechter liegt das arme Costa Rica (24. Stelle) weit vor dem reichen Japan (41. Stelle). Seit 1990 verzeichnen 22 Länder in Afrika und in Osteuropa Rückschritte bei der menschlichen Entwicklung. Ursachen dafür sind laut UNDP vor allen Wirtschaftsprobleme, Konflikte und Aids. Weiterer Bericht Wirtschaft
|