Main Rheiner Lokales 30.6.2000 1:7 Ein Asyl-Drama ohne Ende? Fall Akyüz: Europäischer Gerichtshof lehnt Menschenrechtsbeschwerde ab MAINZ/WIESBADEN - Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat die Menschenrechtsbeschwerde der Familie Akyüz abgelehnt. Abgeschoben werden die elf Kurden nicht: Sie bleiben weiter im Kirchenasyl der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) in Mainz. Von unserem Redaktionsmitglied Christopher Belz Eigentlich ist die Familie Akyüz eine Familie wie viele andere. Die Kurden sollten aus ihrer Unterkunft in Wiesbaden abgeschoben werden, nachdem ihre Asylanträge abgelehnt waren. Doch der Flüchtlingsrat veranstaltete Mahnwachen und reichte eine Petition beim hessischen Landtag ein. Die Zeitschrift "Stern" widmete dem Schicksal der Familie zwei große Reportagen, ein ZDF-Kamerateam reiste in das Heimatdorf der Familie, in dessen Nähe sich der - mittlerweile abgeschobene - Vater versteckt halten soll. TV-Kabarettist Dieter Hildebrandt warf der Wiesbadener Ausländerbehörde SS-Methoden vor - was ihm nun eine Klage von Oberbürgermeister Hildebrand Diehl einbrachte. "Irgendwie", so Rudolf Rainer, Pressesprecher des Verwaltungsgerichts Wiesbaden, "hat man sich diese Familie herausgegriffen." "Nicht leicht gemacht" Manfred Kögel kann über all das nur den Kopf schütteln. Seit 19 Jahren beschäftigt sich der Vorsitzende Richter am Verwaltungsgericht hauptsächlich mit Asylverfahren - so auch mit dem der Familie Akyüz. Der Vorwurf, das Gericht habe allzu leichtfertig über das Schicksal der Kurden entschieden, trifft ihn besonders hart. "Ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht", sagt er. "Aber ich hatte schon wesentlich schwierigere Fälle als die Familie Akyüz." Sieben Jahre lang beschäftigt die nun schon die Gerichte. 1993 reiste der Vater, Abdulcabbar Akyüz, erstmals nach Deutschland ein, zwei Jahre später folgten seine Frau Emine und ihre Kinder. Das Bundesamt für die Anerkennung von Flüchtlingen lehnte ihre Asylanträge jedoch ab - eine Entscheidung, die von Verwaltungsgerichten und dem Bundesverfassungsgericht in mittlerweile über 30 Verfahren bestätigt wurde. Nun hat auch der Europäische Gerichtshof die Menschenrechtsbeschwerde der Familie zurückgewiesen. Die Prozesse aber gehen weiter: Rechtsanwalt Uwe Remus will nun erneut vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Unter Richtern gibt es eine bittere Bezeichnung dafür: Verfahrens-Asyl. "Das kann sich über Jahre ziehen", sagt Rainer. Auch nach der gescheiterten Menschenrechtsklage, so ESG-Pfarrer Ulrich Luig, will die Gemeinde den elf Kurden - Mutter, acht Kinder, Schwiegertochter und Enkel - weiter Asyl gewähren. "Wir können nicht verantworten, dass sie in die Türkei zurückgeschickt wird", sagt er. Dort drohe der Familie Gefahr, seit der Vater sich geweigert habe, in seinem Heimatdorf das Amt des so genannten Dorfschützers zu übernehmen und den türkischen Sicherheitskräften Aktivitäten der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu melden. Vater, Mutter und der älteste Sohn seien darauf mehrfach verhaftet, gefoltert und vergewaltigt worden. Psychologische Gutachten, die den Opfern schwere Traumatisierungen und Suizidgefahr attestieren, habe das Verwaltungsgericht aber nicht berücksichtigt. Ein Vorwurf, dem Kögel widerspricht. Vielmehr, so der Richter in der Begründung eines Gerichtsbeschlusses, hätten die Gutachten gravierende Mängel. So habe es etwa bei der Untersuchung der Mutter "immer wieder Sprachverständigungsschwierigkeiten" gegeben, so dass "die Fragen mehrmals abgewandelt und neu formuliert werden" mussten. Zudem habe die Frau laut Gutachten "aus eigenem Antrieb keine Erlebnisse berichtet." Kögels Resümee: "Inhaltlich praktisch wertlos." Flucht oder Ausreise? So bezweifelt das Gericht, dass Folter und Vergewaltigungen tatsächlich stattgefunden haben - zumal diese Behauptung erst nach viereinhalb Jahren vorgebracht wurde. "Zur Begründung wurde angeführt, die Mutter habe sich geschämt, einem Richter davon zu erzählen", so Rainer. Dabei habe eine Richterin das erste Verfahren geführt. "Aber der Dolmetscher war ein Mann", hält Rechtsanwalt Remus dagegen. Auch der Medienrummel um die Familie spielte bei der Entscheidung des Gerichts eine Rolle. Dass es Reportern von "Stern" und ZDF gelungen sei, den Vater in seinem angeblichen Versteck unweit seines Heimatdorfes zu interviewen, spreche dafür, "dass die Familie Akyüz in der Türkei nicht als Staatsfeinde angesehen wird". Schließlich hätte sich der türkische Geheimdienst einfach "an die Fersen der Reporter heften können". |