junge Welt, 01.07.2000 Völkerrecht ade? Bundesregierung setzt bei Krisenbewältigung auf Zuckerbrot und Peitsche Ludger Volmer, der grüne Staatsminister im Auswärtigen Amt, präsentierte am Freitag in Berlin ein neues Grundsatzpapier der Bundesregierung zu »Krisenprävention, Konfliktbeilegung und Friedenskonsolidierung«. Unter der Federführung des Auswärtigen Amtes hatten sich Arbeitsgruppen aus mehreren Ministerien in den vergangenen Monaten um die Umsetzung dieser im Koalitionsvertrag festgelegten Aufgabe bemüht. Kernpunkt des Papiers sei ein »erweiterter Sicherheitsbegriff«, der außer den klassischen Krisenszenarien auch ökonomische, ökologische, soziale, kulturelle und Menschenrechtsfragen beinhalten würde, erläutete Volmer den Grundgedanken. Anliegen der Bundesregierung sei in diesem Zusammenhang auch eine »Weiterentwicklung des Völkerrechts«, das in seiner bisherigen Form unzureichend sei und bei der Bewältigung der Kosovo-Krise offenbar »nicht richtig gegriffen« habe. Außenminister Joseph Fischer hatte in seiner letzten Rede vor dem Plenum der Vereinten Nationen bereits angedeutet, wohin die Reise gehen soll. Das Vetorecht der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates habe sich als nicht mehr zeitgemäß herausgestellt. Vetos sollten in Zukunft »substantiiert begründet« werden müssen, um einen »Mißbrauch« aufgrund »egoistischer nationaler Interessen« zu vermeiden und den »Legitimationsdruck« auf die mit Vetorecht ausgestatteten Staaten zu erhöhen. Diese Aushebelung des geltenden Völkerrechts sei nötig, da es einen NATO-Einsatz ohne UN-Mandat wie gegen die Republik Jugoslawien nicht mehr geben dürfe, da die Selbstmandatierung der NATO in einigen Teilen der Welt »Irritationen« ausgelöst habe, wie Volmer einräumte. Ein weiterer politischer Schwerpunkt soll die Verzahnung militärischer und ziviler Optionen der »Konfliktbeilegung« auf europäischer Ebene werden. Volmer bezog dies vor allem auf eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen der Westeuropäischen Union und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Auch der Einsatz nichtmilitärischer Sanktionen zur Friedenserhaltung beziehungsweise -erzwingung müsse weiter ausgebaut werden. Einen besonderen Stellenwert bei der Umsetzung der neuen Regierungskonzeption soll das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit erhalten. Ihm obliege schließlich laut Volmer auch die Aufgabe, im Falle eines »heißen Konfliktes« den nachfolgenden Wiederaufbau einer »Zivilgesellschaft« zu unterstützen. Von den deutschen Nichtregierungsorganisationen (NGO), die im Bereich der Konfliktbeilegung tätig sind, erwartet die Bundesregierung eine stärkere Ausrichtung an den politischen Vorgaben der Regierung. Diese Umkehrung des Begriffs NGO begründete Volmer damit, daß man viele dieser Organisationen ja schließlich auch finanziere. Ausgebaut werden soll die Ausbildung von international einsetzbarem Personal zur Krisenbewältigung. In vierzehntägigen Grundkursen und weiteren einsatzspezifischen Seminaren sollen hochqualifizierte Bewerber aus verschiedensten Berufssparten für ihre Aufgaben vorbereitet werden. Als herausragendes Beispiel für deren Aufgaben bezeichnete der zuständige Referatsleiter im Auswärtigen Amt, Trautmann, die momentane Arbeit von sieben deutschen Konfliktbewältigern in Ost-Timor, wo sie federführend beteiligt seien - am Aufbau eines neuen Meldewesens. Rainer Balcerowiak |