junge Welt, 03.07.2000 Embargopolitik verurteilt UN-Sozialgipfel in Genf beendet. Sanktionen gegen Irak kritisiert. NGOs unzufrieden mit Ergebnissen Mit einem Tag Verspätung ging am Sonnabend in Genf der UN- Sozialgipfel zu Ende. Die Vertreter von 188 Ländern einigten sich in einer Abschlußerklärung darauf, bis 2015 die Zahl der in extremer Armut lebenden Personen zu halbieren. Als solche gelten all jene, die mit weniger als einem US-Dollar pro Tag auskommen müssen. Derzeit sind dies etwa 1,5 Milliarden Menschen. Ebenfalls bis 2015 sollen alle Kinder Zugang zu kostenlosen Schulen haben. Das Dokument, das nur unter erheblichem diplomatischen Tauziehen zustande kam, fordert außerdem die Staaten auf, Lieferungen von Nahrungsmitteln und Medizin nicht als politisches Druckmittel zu mißbrauchen. Der Vertreter des Iraks hatte unter lebhaftem Beifall auf die schweren Folgen des Embargos des UN-Sicherheitsrates für die Bevölkerung seines Landes hingewiesen. Zur Sprache kam auch das drückende Schuldenproblem vieler Länder, ohne daß man sich aber auf konkrete Maßnahmen zu deren Entlastung einigen konnte. Allerdings ist erstmals die Rede davon, daß in bestimmten Situationen Staaten das Recht haben, Rückzahlungen befristet auszusetzen. Eine Woche lang hatte im alten Völkerbundpalast die Vollversammlung der Vereinten Nationen getagt, um die Umsetzung der Beschlüsse des großen Kopenhagener Sozialgipfels vor fünf Jahren und neue Maßnahmen zu beraten. Die Vertreter der Industriestaaten zeigten sich jedoch äußerst zurückhaltend bei der Übernahme konkreter Verpflichtungen. Umstritten war unter anderem, das Recht auf Entwicklung anzuerkennen. Bei den beobachtenden Nichtregierungsorganisationen (NGOs) stießen die Ergebnisse zum Teil auf heftige Kritik: »Das Jahr 2015 als Zeitmarke zu setzen, bis zu der die Armut um die Hälfte zu reduzieren ist, bedeutet, Hunderte Millionen Menschen, vor allem Frauen, für eine weitere Generation zu einem Leben in hoffnungslosen, entwürdigenden Umständen zu verurteilen«, heißt es in einer NGO-Erklärung. Die NGOs, zu denen unter anderem auch der Weltkirchenrat und zahlreiche nationale und internationale soziale Organisationen gehören, warfen vor allem den Industriestaaten vor, den Zusammenhang zwischen der gegenwärtigen Globalisierung und der wachsenden Unsicherheit und sozialen Ungleichheit auf allen Ebenen zu leugnen. Die anhaltende Armut in den reichen Ländern bliebe vollkommen unerwähnt. Die Vereinten Nationen hatten parallel zur Vollversammlung ein NGO-Forum organisiert, an dessen 227 Veranstaltungen rund 8 000 Menschen teilnahmen. Ein nicht unwesentlicher Teil dieses Programms wurde allerdings von Institutionen wie der Weltbank, der internationalen Handelskammer oder anderen Vertretern von Wirtschaftsinteressen organisiert. Einige NGOs hatten auch die Gelegenheit, ihre Kritik der Vollversammlung vorzutragen - am Freitag abend, als die Verhandlungen so gut wie abgeschlossen waren. In einer Stellungnahme von NGO-Vertretern zur Abschlußerklärung heißt es, daß soziale Entwicklung demokratisch kontrolliert vor allem auf der lokalen Ebene stattfinden müsse. Transnationale Konzerne müßten für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden können und internationalen Normen unterworfen werden. Das demokratische Mandat und die Strukturen der UNO wollen die NGOs als Gegengewicht zu den von den reichen Staaten kontrollierten Organisationen wie der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation WTO gestärkt sehen. Anders als nach dem Kopenhagener Gipfel wurde dieses Mal kein Termin für eine Konferenz zur Überprüfung der Fortschritte festgelegt. In den Abschlußdokumenten heißt es lediglich, daß man sich in einem angemessenen Zeitraum wiedertreffen werde. Wolfgang Pomrehn, Genf |