Neue Zürcher Zeitung, 3. Juli 2000 Zehn iranische Juden wegen Spionage verurteilt Keine Todesstrafen - Milde Behandlung von Muslimen Ein iranisches Revolutionsgericht hat am Samstag in Schiras zehn iranische Juden und zwei Muslime wegen Spionage für Israel zu Haftstrafen verurteilt. Der Urteilsspruch ist für iranische Verhältnisse hart, aber nicht vernichtend ausgefallen. In Israel beteuert man weiterhin die Unschuld der Betroffenen, und Präsident Clinton zeigte sich schockiert. vk. Limassol, 2. Juli Das iranische Revolutionsgericht von Schiras hat mehrere recht widersprüchliche Erwägungen miteinander in Einklang gebracht. Es unterstrich, dass iranische Bürger in keiner Weise Informationen für Israel sammeln dürften. Zugleich vermied es aber ein antijüdisches Urteil; auch lieferte es persischen Juden keinen Anlass, in Massen auszuwandern. Es tat weiter der geradezu paranoid gehüteten Sicherheit der Islamischen Revolution Genüge, sprach aber zugleich ein Urteil, das auch wenig freundlich gesinnte Mächte nicht einfach als politischen Willkürakt aufnehmen dürfen. Dazu hatte die dosierte Öffnung für internationale Menschenrechtsgruppen und Vertreter einer amerikanischen jüdischen Gruppierung beigetragen, weiter die regelmässige Information der Medien. Khatamis Republik hat damit erneut die Kluft zwischen ideologischen Scharfmachern und Pragmatikern überbrückt. Berufung möglich Das Gericht fällte am Samstag nach einer zehnwöchigen Verhandlung gegen dreizehn Juden und vier Muslime Haftstrafen zwischen zwei und dreizehn Jahren; fünf Angeklagte - drei Juden und zwei Muslime - wurden freigesprochen. Die höchsten Strafen erhielten Asher Zadmehr, der wegen der Bildung eines Spionagerings zugunsten Israels vor 22 Jahren verurteilt wurde, und der wegen Drogendelikten vorbestrafte Hamid «Danni» Tefilin, dem Mitgliedschaft im Spionagering und Nachrichtenbeschaffung zur Last gelegt wurden. Naser Levy Khayim wurde zu elf Jahren Gefängnis verurteilt wegen der Leitung der Spionagegruppe und der Rekrutierung neuer Mitglieder. Fünf weitere jüdische Angeklagte verurteilte das Gericht wegen aktiver Mitgliedschaft zu acht- bis zehnjährigen Gefängnisstrafen. Die letzten beiden Juden müssen vier und fünf Jahre absitzen. Die beiden muslimischen Schuldigen erhielten je zwei Jahre Haft für das Zutragen von Nachrichten. Berufung gegen die Urteile ist möglich. Die Todesstrafe, mit der vor wenigen Tagen noch hohe iranische Justizbeamte geliebäugelt hatten, wurde nicht verhängt. Der Leiter der Rechtsbehörde der Provinz Fars sagte später, die Art der Verbrechen schliesse einen Gnadenerlass nach dem Verbüssen eines Drittels der Strafe nicht aus, doch sei es noch zu früh, um darüber zu sprechen. Richter und Ankläger in einem In Israel herrscht weiterhin die Überzeugung vor, sämtliche Angeklagten seien völlig unschuldig. Das stützt sich aber vor allem auf den Umstand, dass im vorliegenden Fall Juden in einer politisch gefärbten Sache in einem nicht befreundeten Land verurteilt wurden. Was die jüdischen Gruppen in Schiras und Isfahan in Tat und Wahrheit verbrochen haben, lässt sich durch das Dickicht des Jargons, in dem ihre Geständnisse abgefasst waren, schwer feststellen. Die Verteidiger machten geltend, die Angeklagten hätten weitgehend Informationen über öffentlich zugängliche Anlagen gesammelt. Die Zugehörigkeit zu irgendwelchen Gesprächs- und Aktivitätszirkeln ist in einer homogenen Minderheit wie der jüdischen gängig. Und die mehrfachen Reisen einiger Angeklagter nach Israel - zum Teil, um Angehörige zu besuchen - sind keine Verbrechen. Dass sie dort mit Behördenvertretern in Kontakt kamen, war unumgänglich, und dass diese Informationen aus Iran verlangten, ist wahrscheinlich. Ist es möglich, dass sich die Perser dabei regelrecht vom Geheimdienst Mossad anwerben und ausbilden liessen, um diesem nachher jahrzehntelang Geheimmaterial zuzuspielen? Echt staatsgefährdende Dinge waren kaum darunter, sonst wären die Strafen viel härter als dreizehn Jahre Haft ausgefallen; darauf verweist auch ein Teheraner Pressekommentar unter Vergleich auf den israelischen Spion Jonathan Pollard in Amerika. Entscheidend ist wohl das Geständnis der iranischen Juden, dass sie sich unter Ausnutzung ihrer religiösen Gefühle zum Dienst an Israel, mithin zu einer doppelten Loyalität, motivieren liessen. Der Sprecher des iranischen Aussenministeriums zog am Sonntag erneut gegen Israel vom Leder, das sich in fremde Angelegenheiten einmische. Der Sprecher des Weissen Hauses hatte am Samstag mitgeteilt, der Präsident sei über das Urteil von Schiras schockiert. Staatssekretärin Albright bemängelte die iranischen Revolutionsgerichte, bei denen der Richter zugleich Ankläger sei und alles hinter verschlossenen Türen ablaufe. Auch der französische Premierminister Jospin erklärte im Namen der Europäischen Union, die Art des Urteils sei nicht annehmbar, obwohl das Schlimmste vermieden worden sei. Er hoffe auf eine Korrektur im Lauf des Berufungsverfahrens. In Teheran hingegen rühmten die loyalistischen Blätter das Revolutionsgericht, das sich als unabhängig bewährt habe. |