junge Welt, 03.07.2000 Airport Schönefeld blockiert Initiative übt Druck auf Lufthansa aus. Rund 1 000 Abschiebegegner versuchten, den Flughafenbetrieb zu stören Ein sonniger Samstagnachmittag im Brandenburg. Alles scheint still und friedlich in der Einfamilienhaussiedlung von Altglienicke. Doch plötzlich schallt die Parole: »Abschiebung ist Folter - Abschiebung ist Mord« durch die Gartenzwergidylle. Hunderte Menschen ziehen an blühenden Wiesen und Feldern vorbei in Richtung Flughafen Schönefeld. Auf Transparenten wird der Grund des Aufzuges kundgetan. »Kein Mensch ist illegal« steht da und »Shut down deportation airport«. Zu deutsch: Schließt die Abschiebeflughäfen. So heißt auch das Bündnis, in dem sich antirassistische Initiativen und Einzelpersonen zusammengeschlossen haben, um eine eintägige Blockade des Flughafens Schönefeld vorzubereiten. Insgesamt 1 000 Abschiebungsgegner hatten sich in fünf verschiedenen Demonstrationszügen von Berlin auf den Weg nach Schönefeld gemacht. Neben der Wald- und Wiesen- Demo von Altglienicke nach Schönefeld gab es Taxi-, Inline- Skate-, Fahrrad- und Hundekorsos. Auf den Tag genau sieben Jahre nach der faktischen Abschaffung des Asylrechts durch eine übergroße Koalition aus CDU, FDP und SPD wollten sie ein Zeichen gegen die »rassistische Normalität der deutschen Abschiebepolitik« setzen. Nicht Abschiebebehörden und verantwortliche Politiker hatten die Protestierenden diesmal im Visier, sondern die Flughafenbetreiber und -gesellschaften. Nicht ohne Grund. Berlin-Schönefeld ist nach Frankfurt am Main der zweitwichtigste Abschiebeflughafen in der BRD. Nach Recherchen von Flüchtlingsinitiativen wurden im letzten Jahr mehr als 6 300 Flüchtlinge über diesen Airport zwangsweise abgeschoben. Die Abschiebungen verlaufen in der Regel unbeachtet von der Öffentlichkeit und geräuschlos. Nur wenn es zu Todesfällen kommt - im Mai 1999 starb bespielsweise der Nigerianer Aarmir Ageeb - nimmt die Öffentlichkeit kurzzeitig Notiz davon. Während Fluggesellschaften in der Schweiz und den Niederlanden Abschiebeflüge mittlerweile mit dem Verweis auf Beschwerden regulärer Fluggäste verweigern, führt die Lufthansa trotz zahlreicher Kritik und Protesten von Flüchtlingsräten und Menschenrechtsinitiativen über ein Drittel aller Abschiebungen in Deutschland durch. Für die Gesellschaft ein lukratives Geschäft, denn nicht selten wird der Flüchtling von ein bis drei BGS-Beamten begleitet. Den »wirtschaftlichen Profiteuren der deutschen Abschiebepolitik« für einen Tag dieses Geschäft zu vermiesen«, war eines der Ziele des Bündnisses. »Das ist uns wenigsten teilweise gelungen. Wir haben mit relativ wenig Menschen den Flughafenbetrieb zeitweise zum Erliegen gebracht«, meint Paula Schubert von der Initiative Shudoda. Selbst der Pressedienst der Polizei sprach von »erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen«. Dabei versuchten Polizei und Politik schon im Vorfeld, die Proteste zu marginalisieren. Der Versuch, Demonstration und Kundgebung in Sichtweite des Flughafens durchzuführen, wurde mit der Begründung verweigert, daß es sich hierbei um privates Gelände handelt. Nur eine Route durch größtenteils unbewohnte Waldgebiete, fernab jeglicher Öffentlichkeit, wurde genehmigt. »Es ist eine Pervertierung des Demonstrationsrechts, wenn in öffentlichen Räumen durch Privatisierungen die Grundrechte nicht mehr gelten sollen«, stellt der unabhängige Beobachter der Demonstration, Prof. Peter Grottian vom Komitee für Grundrechte und Demokratie, gegenüber junge Welt fest. Nach Beendigung der Demonstration wurde eine Kundgebung in der Nähe des Flughafens zum Ausgangspunkt kleinerer Blockadeaktionen. Die mit zahlreichen Einsatzkräften aus mehreren Bundesländern vertretene Polizei ging nach Angaben von Demonstranten mit äußerster Härte, unter anderem gezielten Faustschlägen ins Gesicht, gegen die Blockierer vor. Die unabhängigen Beobachter sprachen von willkürlichen Polizeiübergriffen und Festnahmen. Laut Polizeiangaben wurden 227 Platzverweise erteilt. Fünf Personen wurden unter anderem wegen Widerstands gegen Vollzugsbeamte, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch vorübergehend festgenommen. Doch die Polizeiübergriffe taten der guten Stimmung auf der mehrstündigen Kundgebung keinen Abruch. Es gab Live- Musik, Volxküche und Redebeiträge, in denen der staatliche Rassismus thematisiert wurde. Internationalistische Initiativen nutzten die Veranstaltung, um auf die Einführung von Isolationstrakten in türkischen Gefängnissen und den Besuch des iranischen Präsidenten Khatami nächste Woche in Berlin aufmerksam zu machen. Die Organisatoren wollen auch in Zukunft mit weiteren Aktionen die deutsche Abschiebepolitik angreifen. »Die Blockade steht im Rahmen einer internationalen Kampagne, die solange auf die Lufthansa Druck ausüben will, bis diese sich aus dem Abschiebegeschäft zurückzieht«, äußerte eine Organisatorin. Arian Wendel |