taz 5.7.2000
Zehntausende Festlandstürken wurden nach Zypern gelockt, um
türkische Interessen zu festigen. Doch ihre Hoffnungen haben sich
nicht erfüllt
von der Karpasia-Halbinsel ANTJE BAUER
Auf einem steinigen Feld hockt der Bauer Sefa Simsek Yilmaz und setzt
Tomatenstauden. 1985 hat er seine Äcker in der südtürkischen
Stadt Adana verkauft und ist hierher gezogen, nach Dipkarpaz, am nordöstlichen
Ende Türkisch-Zyperns. "Damals kostete das Kilo Tomaten auf
Zypern 5.000 Lira und in Adana nur 150, überleg mal, was für
ein Unterschied! Deshalb dachten wir, wir könnten hier Geld verdienen."
Ächzend richtet er sich auf, stemmt die Hand ins Kreuz, schüttelt
den Kopf. "Aber in Wirklichkeit haben nur die Zwischenhändler
verdient. Jetzt tut es uns Leid, dass wir hergekommen sind." Zurück
kann er nicht mehr: Die Äcker in der Türkei sind weg, und
was sollen die Leute sagen, wenn er als Habenichts wieder dort auftaucht?
Also hackt er weiter Steine aus dem Feld und schimpft auf die "Halunken"
auf Zypern. Nein, nein, mit den Griechen am Ort komme er gut aus, versichert
er. "Die Probleme schaffen immer nur die da oben."
Provisorium wurde Dauerzustand
Vom Nachbargrundstück tönt lautes Hämmern. Es ist Zacharia
Harp, der auf dem Boden hockt und in mühevoller Handarbeit Blechplatten
zu Schaufeln klopft. Es sieht ein wenig verwahrlost aus bei ihm: Überall
liegen rostende Eisenteile herum, das Unkraut wuchert. Neben Zacharia
steht ein kleines Mädchen und schaut ihm zu.
Als Zacharia Harp geboren wurde, 1968, war dieses noch ein griechisches
Dorf und hieß Rizokarpaso. Doch 1974 fand ein Putsch auf Zypern
statt mit dem Ziel, die Republik an Griechenland anzuschließen.
Der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit entsandte
daraufhin Truppen auf die Insel, die den Norden besetzten - 37 Prozent
des gesamten Territoriums. Obwohl der Putsch fehlschlug und der rechtmäßige
Präsident Zyperns, Erzbischof Makarios, ein halbes Jahr später
aus dem Exil auf die Insel zurückkehrte, blieben die türkischen
Truppen da. Die zunächst provisorische Teilung der Insel wurde
zum Dauerzustand. Die im Norden lebenden Griechen flohen fast alle in
den Süden - nur in Rizokarpaso lebten weiterhin einige hundert
Zyperngriechen.
Keine Arbeit für Griechen
Um das eroberte Land zu besiedeln und Fakten zu schaffen, lud die nordzypriotische
Regierung unter Rauf Denktasch Türken vom Festland ein, sich auf
Zypern anzusiedeln. Der Grieche Zacharia Harp erhielt neue Nachbarn
aus dem Land der Sieger und lernte ein wenig Türkisch. "Dies
ist mein Zuhause, deshalb bin ich hier geblieben", erklärt
er.
Doch sein "Zuhause" hat sich ziemlich verändert. Während
im Dorf früher nur Griechen lebten, sind die Türken nun in
der Mehrheit. Arbeit kann der Grieche Zacharia Harp hier im türkischen
Teil nicht suchen - die Familie bestreitet ihren Lebensunterhalt vor
allem mit Geld der griechisch-zypriotischen Regierung. Die Amtssprache
ist Türkisch, und im ganzen türkischen Teil Zyperns gibt es
keine griechischsprachige Mittelschule. So bleibt nur der Umzug auf
die griechische Seite, wenn die Kinder etwas lernen sollen. Harps Frau
ist deshalb mit den beiden älteren Kindern auf die griechische
Seite gezogen, er blieb mit den drei Kleinen hier. "Die Lage ist
normal", sagt er vorsichtig, "weder gut noch schlecht. Die
Nachbarn sind ganz in Ordnung." Die niedrigen, weiß gekalkten
Bauernhäuser des Dorfes gleichen denen in der Westtürkei.
Doch Fenster und Türen sind blau umrandet - griechische Farben.
In den blühenden Gärten machen sich breithüftige türkische
Bauersfrauen in hellen Kopftüchern zu schaffen, aus den Häusern
dringen türkische Schlager.
"Jeder für sich" - die einzige Lösung?
Der 73-jährige Dursun Çebi stammt von der türkischen
Schwarzmeerküste. Nach einem Emigrantenleben in Deutschland und
Belgien kam er 1976 nach Rizokarpaso, das die Türken in der Zwischenzeit
in Dipkarpaz umbenannt hatten. Er bezog eins der blauweißen Häuser,
deren griechische Besitzer in den Süden gegangen waren, und baut
nun auf Feldern, die früher Griechen gehörten, Weizen und
Gerste an. Ein übermäßig schlechtes Gewissen hat er
nicht deshalb. "Die Griechen wollten damals Zypern an Griechenland
anschließen, und dabei haben die Türken nicht mitgemacht,
deshalb kam es zu Konflikten", erklärt er über den Gartenzaun.
Çebi hat die Staatsangehörigkeit der international nicht
anerkannten "Türkischen Republik Nordzypern" erworben.
Als Zypriote fühlt er sich natürlich nicht und vertraut darauf,
dass die Türkei und ihre Truppen auch weiterhin für die enge
Anbindung an das türkische "Mutterland" sorgen werden.
Für die Zukunft sieht er nur eine Lösung: dass im griechischen
und im türkischen Teil Zyperns je eine Republik existiert, mit
ganz normalen Grenzen, "wie zwischen Griechenland und der Türkei
auch. Jeder für sich, dann gibt es keine Probleme." Da freut
sich Rauf Denktasch.
Wie ein Kaff im Wilden Westen
Auf einer Anhöhe liegt, mitten in einem frisch angelegten Garten,
die große, neue, strahlendweiße Moschee. Es ist die erste
am Ort, denn früher lebten hier keine Türken. Auch zwei Kirchen
gibt es, doch der Regen hat auf dem Weiß ihrer Mauern Nasen hinterlassen,
der Putz bröckelt, und die Türen sind verwittert. Der Priester
zelebriert jeden Sonntag abwechselnd in einer der beiden die Messe,
unter der Woche bleiben beide geschlossen. In Rizokarpaso gab es zwei
griechische Grundschulen. Im türkischen Dipkarpaz ist nurmehr eine
davon in Funktion, die andere wurde mit Stacheldraht eingezäunt.
Der Ortskern gleicht einem Kaff im Wilden Westen. Ein paar Häuschen,
die sich aneinander klammern, faltiges Gemüse in der Auslage des
Kramladens; im Halbdunkel sitzen Verkäufer und warten auf Kundschaft
- zumeist vergeblich. An einem Pfeiler lehnt der Kurde Sultan Sönmez
und schaut auf die Hauptstraße, auf der nichts passiert. Seine
Kleidung ist abgewetzt, der Bart schon ein paar Tage alt. Sultan Sönmez
kam vor zehn Jahren hierher. Er stammt aus Mus, einer kurdischen Kleinstadt
in der Türkei, hat sechs Kinder und verdingt sich als Tagelöhner
bei einem Bauern. Oder als Bauarbeiter. Aber viel Arbeit gibt es nicht,
weder hier noch in der Stadt. Zypern hat sich für ihn als Sackgasse
erwiesen.
Die Karpasia-Halbinsel hier im Nordosten Zyperns ist das am geringsten
entwickelte Gebiet Türkisch-Zyperns. In den wenigen Dörfern
leben vorwiegend Bauern aus der Türkei, die auf mühselige
Art Landwirtschaft betreiben und sich glücklich schätzen,
wenn sie einen Traktor besitzen. Dabei bilden kilometerlange Strände
und das saubere Wasser ideale Vorausssetzungen für Tourismus. Doch
gibt es kaum Hotels und Restaurants, nur eine Landstraße führt
bis zum Kloster am äußersten Zipfel der Halbinsel. Esel,
die unter Feigenkakteen grasen, bestimmen das Bild - idyllisch, aber
nicht einträglich. Ein Grund für die Rückständigkeit
ist das internationale Embargo gegen den türkisch besetzten Teil
der Insel: Nur aus der Türkei gibt es Direktflüge nach Nordzypern.
Rauschgifthandel und Geldwäsche
Ein weiterer Grund jedoch ist hausgemacht: Den türkisch-zypriotischen
Politikern mangelt es am Willen zur Veränderung. "Außer
Spielkasinos und Nachtclubs gibt es hier kaum noch ökonomische
Aktivitäten", schimpft Sener Levent, Chefredakteur der regimekritischen
Tageszeitung Avrupa. "Die Produktion hier ist zusammengebrochen,
stattdessen zahlt der Staat jeden Monat 45.000 Personen ein Gehalt oder
eine Rente." Levent gehört zu den überzeugten Zyprioten,
die die Teilung der Insel so schnell wie möglich rückgängig
machen würden und den langjährigen und soeben wiedergewählten
Staatspräsidenten Rauf Denktasch beschuldigen, eine Lösung
des Zypernproblems um des eigenen Machterhalts willen zu hintertreiben.
Laut Levent ist Nordzypern zu einer Drehscheibe für Drogenhandel,
Geldwäsche und andere undurchsichtige Transaktionen geworden. Funktionsfähig
ist dieses Gebilde nur, weil die Türkei Geld hineinpumpt, um den
strategisch wichtigen Brückenkopf im Griff behalten zu können.
Spielbälle der Politik
Wie alle Zyprioten, die eine Wiedervereinigung der Insel anstreben,
sieht auch Levent die Anwesenheit der Festlandstürken mit großem
Misstrauen. "Die Wahlen, die hier stattfinden, kann man nicht als
demokratisch bezeichnen", meint er. "Denn in den Siebzigerjahren
hat es einen großen Bevölkerungszufluss aus der Türkei
gegeben, und diese Leute haben sofort das Wahlrecht bekommen."
Auf 80.000 werden die Zuzügler geschätzt, damit übersteigt
ihre Zahl vermutlich die der Zyperntürken. Diese 80.000 haben selbstredend
keinerlei Interesse an einem wiedervereinigten Zypern und wählen
deshalb treu die konservativen Parteien. Dass sie den Politikern als
politisches Spielmaterial dienen, ist ihnen nicht bewusst.
"Früher war hier alles voller Griechen, wo du hinsahst: Griechen",
erinnert sich Dilsah Kirboga. Die Kurdin ist schon als Kind nach Zypern
gekommen, hat aber ihren harten kurdischen Akzent beibehalten. Sie hat
einen Kurden geheiratet und in Dipkarpaz einen Stall zum Wohnhaus ausgebaut.
Sie ist zufrieden mit ihrem Leben. Vom Balkon des Hauses gegenüber
winkt die Schwiegermutter, auf der Straße kommt auf einem Traktor
eine alte griechische Bäuerin entlang, es wird freundlich gegrüßt.
"Wenn es zu einer Einigung kommt, werden die Griechen herkommen
und ihre Häuser wiederhaben wollen", vermutet Dilsah. "Darauf
haben sie natürlich ein Recht. Aber die Regierung muss uns dann
eben andere Häuser bauen. Die kann uns doch nicht auf der Straße
sitzen lassen, oder?"
Die Alten trauen dem Frieden nicht
Gegenüber den Gemüseläden von Dipkarpaz sitzen im Kaffeehaus
von Andreas Ahellas die alten Griechen von Rizokarpaso und spielen Karten.
Wenn einer verliert, bezahlt er in zypriotischen Lira, die hier sonst
niemand verwendet - hier gibt es nur die türkische Lira. Kaffee
und Tee sind aus Griechenland, aus dem Radio dudeln griechische Schlager.
"Ich habe mein Leben lang hart gearbeitet, dann habe ich mir ein
Haus gebaut, und dann wurde es mir weggenommen. Ist das fair?",
wettert ein alter Mann, der seinen Namen nicht sagen möchte. "Wir
wollen, dass alle wieder nach Hause zurückkehren, sowohl die Griechen
als auch die Türken, und dass es wieder so wird, wie es vorher
war." Die Alten brechen auf. Gemeinsam sind sie gekommen, gemeinsam
gehen sie wieder, dem Frieden im Dorf trauen sie offensichtlich nicht
so recht. "Freund sein mit den Türken?", höhnt der
Alte. "Natürlich sind wir gut Freund mit denen! Was bleibt
uns denn anderes übrig."
Doch wo es Jugend gibt, verliebt man sich und schert sich nicht unbedingt
um Tabus. "Mein Onkel hat eine Griechin geheiratet", sagt
grinsend der 18-jährige Türke Ahmed Güngör, der
auf den Kramladen seines Vaters aufpasst. "Er hat sie entführt",
korrigiert ein junger Mann neben ihm. "Sie ist davongelaufen",
räumt Güngör ein. "Sie hat ihren Eltern abends ein
Schlafmittel ins Essen getan und ist mit meinem Onkel weg. Aber später
haben sie sich mit den Eltern wieder ausgesöhnt."
Der Muezzin ruft, die untergehende Sonne färbt die weißen
Kirchen rötlich, Andreas Ahellas schließt sein Kaffeehaus.
Der eiserne Atatürk am Rande des Platzes schaut entschlossen drein.
|