Die Presse (Wien), 06.07.2000 Der türkische Traum in Zentralasien ist geplatzt Ankara hat trotz anfänglicher Euphorie nach dem Zerfall der Sowjetunion nie richtig Fuß gefaßt in den neuen Turk-Republiken. Von unserem Korrespondenten JAN KEETMAN ISTANBUL. Der Zeichner der "Milliyet" hat den Katzenjammer, der in der Türkei wegen des spürbaren Einflußverlusts in Zentralasien herrscht, treffend auf den Punkt gebracht: Der ehemalige türkische Präsident Süleyman Demirel steht da in turkmenischer Tracht, so wie ihn sein Gastgeber Sapamurad Nijasow vergangenen April in Aschchabad eingekleidet hat. Doch die große weiße Fellmütze, die man ihm auf den Kopf gesetzt hat, ist ihm über die Augen gerutscht. So sieht er nicht, wie ein behender Putin Zentralasien auf einem Tablett davonträgt. Daß Nijasow, welcher sich in seiner Bescheidenheit auch Turkmenbaschi (Führer der Turkmenen) nennt, einen Monat, nachdem er Demirel wie einen Bruder empfangen hatte, mit Kreml-Chef Wladimir Putin einen Vertrag über die Erhöhung der Erdgasausfuhren nach Rußland unterschrieb und damit einer Gasleitung durchs Kaspische Meer vermutlich den Todesstoß versetzte, hat Ankara aus langgehegten Träumen aufgeweckt. Nach dem Zerfall der Sowjetunion hatte man mit Enthusiasmus festgestellt, daß im Kaukasus und in Zentralasien eine Reihe neuer turksprachiger Staaten entstanden. Ausnahmen waren nur Georgien, Armenien und das ferne Tadschikistan. Dagegen konnte man auf die neuen Turkrepubliken Aserbaidschan, Turkmenistan, Kirgisien, Usbekistan und Kasachstan blicken, die nicht nur auf der Karte eine riesige Landmasse bilden, sondern wegen ihrer Bodenschätze auch ein ungeheures ökonomisches Potential darzustellen schienen. Enorme Erdgasreserven Anfangs bewegten insbesondere die Erdölvorkommen vor der Küste Aserbaidschans im Kaspischen Meer die Gemüter, Vorkommen, die allerdings bei weitem übertrieben wurden. Mittlerweile stehen eher die Erdgasvorkommen im Mittelpunkt des Interesses. Allein Turkmenistan soll die viertgrößten Erdgasreserven der Welt besitzen. Dazu kommen andere Bodenschätze, insbesondere Gold in Usbekistan und Kasachstan. Doch sehr bald stellte sich heraus, daß dem Einfluß der Türkei enge Grenzen gesetzt waren. Überall in Zentralasien haben starke Männer aus der alten sowjetischen Nomenklatura bzw. regionalen Clan-Strukturen die Macht übernommen und die panturkistischen Parteien verboten oder marginalisiert. Trotz aller diplomatischer Anstrengungen haben die Beziehungen Ankaras mit den meisten der neuen Staaten nur in Festreden besondere Bedeutung. Im Grunde unterstrich das bereits die Gründung der GUS (Gemeinschaft unabhängiger Staaten) 1991. Dem folgten weitere solche Bündnisse. 1992 wurde ein Verteidigungsvertrag zwischen Rußland, Weißrußland, Armenien, Kasachstan, Kirgisien und Tadschikistan geschlossen. Auch Usbekistan verläßt sich nun wieder auf den Schutz Rußlands. Ein weiteres Zeichen für die wachsende Dominanz Moskaus war die Zollunion zwischen Rußland, Weißrußland, Kasachstan, Kirgisien und Tadschikistan. Hingegen besteht kein einziges solches Bündnis zwischen der Türkei und Ländern Zentralasiens. Daß die türkischen Träume in Zentralasien geplatzt sind, hat viele Gründe. Von Anfang an fehlte es der Türkei an Ressourcen, um den neuen "Brüdern" wirtschaftliche Hilfe und militärischen Schutz anbieten zu können. Die Transportverbindungen zwischen der Türkei und Zentralasien sind dürftig und umständlich. Und das kaum verhohlene Überlegenheitsgefühl der Türken machte sie auch nicht unbedingt sympathischer. Kulturelle Mißkalkulation Völlig falsch eingeschätzt hat man in der Türkei und zum Teil im Westen die Bedeutung des kulturellen Faktors. Den neuen Staaten war nach ihrer Gründung nicht an der Förderung des gemeinsamen kulturellen Turk-Erbes gelegen, sondern an der Entwicklung einer nationalen Kultur, passend zu den jeweiligen politischen Ansprüchen. Das Parlament in Baku wandte dem Türkischen offiziell den Rücken und erklärte das verwandte Aseri zur Landessprache. Kirgisien kehrte gar zu Russisch zurück. Usbekistan versucht, eine nationale Tradition zu begründen, indem es sich auf den Eroberer Timur-i Lenk bezieht. Timur hat nur eine einzige Verbindung zur türkischen Geschichte: Im Jahre 1402 schlug er die Osmanen bei Ankara und führte den Sultan in einem Käfig fort.
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