Frankfurter Rundschau, 06.07.2000 Türkei Politikverbot für Erbakan gilt auf Lebenszeit ANKARA, 5. Juli (afp). Der ehemalige türkische Ministerpräsident Necmettin Erbakan von der islamischen Tugend-Partei soll auf Lebenszeit von jeder politischen Betätigung ausgeschlossen bleiben. Das Kassationsgericht in Ankara bestätigte am Mittwoch ein Urteil aus erster Instanz, wonach der 74-Jährige wegen Volksverhetzung ein Jahr ins Gefängnis muss. Die Richter befanden ihn nach Angaben der halbamtlichen Agentur Anadolu der "Anstiftung zum Rassen- oder Religionshass" für schuldig. Mit der Gefängnisstrafe geht ein lebenslanges Politikverbot für Erbakan einher. Er kann Berufung einlegen. Falls diese abgelehnt wird will Erbakans Anwalt den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen. Ministerpräsident Bülent Ecevit äußerte Bedauern über das Urteil. "Wir respektieren die Entscheidungen der Justiz. Aber ich freue mich nicht darüber, dass Erbakan ins Gefängnis muss." Der stellvertretende Vorsitzende der Tugendpartei, Mehmet Bekaroglu, bezeichnete das Urteil als "schweren Schlag" für den türkischen Wunsch nach EU-Mitgliedschaft. Erbakan werde ins Gefängnis geschickt, weil er seine Meinung gesagt habe. Auch europäische Diplomaten kritisierten das Urteil als "nicht akzeptabel". Als Vorsitzender der islamisch-fundamentalistischen Wohlfahrtspartei - der Vorgängerin der Tugendpartei - hatte Erbakan vor sechs Jahren in einer Wahlkampfrede kritisiert, dass das islamische Glaubensbekenntnis in den Schulen durch ein Bekenntnis zum Staat ersetzt worden sei. Dies verleite einige Menschen dazu, sich zum Kurdentum zu bekennen. Mit dieser Äußerung habe Erbakan religiös und rassisch motivierten Hass geschürt, urteilte das Gericht. Erbakan muss voraussichtlich nur fünf Monate Haft absitzen.
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