junge Welt, 06.07.2000 Sturm im Wasserglas Bundestagsabgeordnete fordern Absage des Khatami-Besuches Anfang kommender Woche wird in Berlin zeitweilig wohl wieder halber Ausnahmezustand herrschen. Auf Einladung von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) wird der Präsident der Islamischen Republik Iran, Hadschatoleslam val Moslemin Sayed Mohammed Khatami, Deutschland vom 10. bis zum 12. Juli einen offiziellen Besuch abstatten. Nach Polizeiangaben gilt während der dreitägigen Visite die höchste Sicherheitsstufe. Die Wogen gegen die neuen deutschen Jubelperser schlagen hoch. So wurden zahlreiche Demonstrationen und Kundgebungen von exiliranischen Oppositionsgruppen gegen den Khatami-Besuch angemeldet. Am Mittwoch forderten nun 175 Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen sowie mehr als 300 Abgeordnete mehrerer Landtage in einem vom Nationalen Widerstandsrat Irans initiierten Appell die Absage des Staatsbesuches. Mit Blick auf die Menschenrechtsverletzungen im Iran setze der Besuch Khatamis »ein völlig falsches Signal«, betonte der SPD- Bundestagsabgeordnete Arne Fuhrmann in Berlin. Khatami sei lediglich eine »Marionette der Mullahs«, Gespräche mit ihm würden daher wenig Sinn machen. »Solange Kritik an den Zuständen in Iran von außen kommen muß, kann es keinen Besuch eines Präsidenten geben.« Khatami sei »Teil des Problems und nicht der Lösung«, die Bundesregierung solle daher die Einladung zurücknehmen, forderte Fuhrmann. Der Besuch Khatamis, der erste eines iranischen Staatsoberhauptes seit der Visite von Schah Reza Pahlavi 1967, sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein falsches Zeichen, weil er das herrschende System stabilisiere, erklärte Eike Hovermann, ebenfalls Bundestagsabgeordneter der SPD. Sein Kollege von der CDU, der sächsische Abgeordnete Arnold Vaatz, sagte, er sei schon gegen die Einladung des damaligen iranischen Außenministers Ali Akbar Velayati zur Zeit der schwarz-gelben Koalition gewesen. Mit der Zustimmung zum Staatsbesuch des Präsidenten gehe Rot-Grün nun aber wesentlich weiter. Schröder und Fischer sollten auf die protokollarische Aufwertung Khatamis verzichten und den Besuch noch absagen. Ansonsten könnte sich das »Mullah- Regime« ermuntert fühlen, mit Folter und Menschenrechtsverletzungen fortzufahren. Das Verhalten gegenüber Österreich stehe in keinem Verhältnis mehr zu dem, »wie man hier mit einer blutigen, terroristischen Macht umgeht«, verwies Vaatz auf den seltsamen Spagat rot-grüner Menschenrechtspolitik. Der SPD-Parlamentarier Joachim Tappe wandte sich zwar ebenfalls gegen den Staatsbesuch, war jedoch am Mittwoch der Meinung, sowohl der Bundeskanzler wie auch die anderen Gesprächspartner Khatamis, darunter Außenminister Joseph Fischer und Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul sowie Bundespräsident Johannes Rau, würden den Gast auf die desolate Menschenrechtssituation in dessen Land hinweisen. Ziel müsse die Überwindung des theokratischen Regimes in Iran sein. Es sei daher angebracht, den politischen Dialog mit Teheran wieder aufzunehmen und Druck auf die dortige Regierung auszuüben. Eine komplette Isolierung des Regimes oder ein Embargo des Landes hätten bis dato indes nirgendwo auf der Welt die gewünschten Resultate gezeitigt, erklärte Tappe sein seltsames Sowohl-als- Auch. Neben den 475 Abgeordneten aus Bundestag und Landtagen haben auch 500 Prominente den Aufruf zur Absage des Khatami-Besuches unterzeichnet. Darin heißt es: »Den Besuch des Präsidenten der im Iran herrschenden religiösen Diktatur abzusagen stellt eine Nagelprobe für die Verpflichtung unseres Landes gegenüber den Prinzipien der Demokratie und Menschenrechte dar.« Mossameh Boluchi vom Nationalen Widerstandsrat Irans in Deutschland warf Khatami vor, den Befehl zur Niederschlagung der Studenten- und Bürgerproteste in Teheran und Tabris vor einem Jahr erteilt zu haben. Die Erwartung der Bundesregierung, mit der Visite einen Demokratisierungsprozeß im Iran zu unterstützen, nannte Boluchi »nichts als Phantasie«. Sie rief daher zur Teilnahme an den zahlreichen Protestveranstaltungen in der kommenden Woche auf. So ist am Montag vor dem Brandenburger Tor eine zentrale Kundgebung iranischer Exilorganisationen geplant, zu der vom Widerstandsrat 20000 Teilnehmer erwartet werden. Während der CDU-Parlamentarier Vaatz die Hoffnung äußerte, daß sich auch viele der Appell- unterzeichnenden Parlamentarier an den Protesten beteiligen, wandten sich seine SPD-Kollegen dagegen, zu Demonstrationen gegen die eigene Regierung aufzurufen. Damit bleibt der Appell ein Sturm im Wasserglas. Rüdiger Göbel
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