Neue Zürcher Zeitung, 7. Juli 2000 Brücken für Asylsuchende Vielfältiges Engagement von Freiwilligen «Desolidarisierung» und «Fremdenfeindlichkeit» sind geläufige Schlagworte, die für gewisse gesellschaftliche Tendenzen teilweise zutreffen mögen. In Wirklichkeit gibt es aber auch eine grosse Zahl von Zeitgenossen, die sich gerade im Asylbereich freiwillig mit praktischer, menschlicher oder juristischer Hilfe engagieren und so die drohende Isolation von Fremden durchbrechen. Wer sich auf das Thema einlässt, ist überrascht, wie vielen Menschen das Schicksal der Asylsuchenden, vorläufig Aufgenommenen und Flüchtlinge zu Herzen geht, und zwar so sehr, dass sie etwas für sie tun möchten. Gelegenheit bietet ihnen zum Beispiel TransFair, ein Projekt der Asyl-Organisation Zürich - der Name betont die befristete Zeit, die Asylsuchende bei uns verbringen. Durchschnittlich 50 Freiwillige nehmen sich Flüchtlingen in Durchgangszentren an, nachdem sie sich in Einführungskursen darauf vorbereitet haben. (In einem solchen Kurs zählten wir 22 Frauen und 4 Männer . . .) Die Caritas Zürich hinwiederum ist mit «Urat» (das albanische Wort für Brücken) in sieben Gemeinden präsent, 60 Freiwillige gehen eigentliche Partnerschaften mit Familien aus Kosovo ein, erteilen zudem Deutschunterricht. (Adressaten sind allerdings Immigranten mit normaler Ausländerbewilligung.) Nachdem 1998 ein Stadtzürcher Beitrag für das Projekt in einer Abstimmung abgelehnt worden war, gingen bei der Caritas Spenden von rund 300 000 Franken ein - und seither haben sich die Partnerschaften verdoppelt. Auch der Flüchtlings- und Inlanddienst Bern des Hilfswerks der evangelischen Kirchen lanciert «interkulturelle Begegnungen» und unterstützt Freiwilligenarbeit in den Gemeinden. Fast unüberblickbar sind die Organisationen und Hilfswerke in der Schweiz, die auf Freiwillige ausgerichtet sind. Erwähnt sei besonders Benevol Schweiz in Bern, eine nationale Anlaufstelle für Freiwillige. Benevol Zug gibt eine Art Stellenanzeiger heraus. Auf Inserate, die Freiwillige im Asylwesen suchen - für Deutschkurse, für Buchhaltung etwa -, werde, so ist zu vernehmen, meistens mehrfach geantwortet. Verbindende Spiele Eine Gruppe von 10 bis 15 Studenten und Doktoranden von ETH und Universität Zürich neben Kantonsschülern aus den obersten Klassen setzt sich für Kinder in Durchgangszentren ein. Die jungen Männer und Frauen, deren Durchschnittsalter 22 Jahre beträgt, sind auch Mitglieder des Service civil international (der übrigens von einem Westschweizer gegründet wurde). Zurzeit spielen sie an Samstagen mit Kindern aus dem Durchgangszentrum Embrach Fussball, besuchen mit ihnen das Hallenbad oder das Technorama in Winterthur und spendieren die Eintritte meistens aus dem eigenen Sack. Die jungen Freiwilligen wissen, auf der ganzen Welt malen Kinder mit Kreide auf den Asphalt, lieben das Seilspringen, Seifenblasen - das verbindet. Sprachbarrieren sind für sie kein grosses Hindernis, sie sind es auch nicht für die kurdischen, bosnischen, kosovo-albanischen Kinder, die hier zusammenkommen. «Wir psychologisieren nicht», sagen sie, und es sind Pädagogik- und Psychologiestudenten unter ihnen, «wir beobachten lediglich, wie Kinder das, was sie durchgemacht haben, beim Spiel verdrängen wollen und können.» Die Freiwilligen werden hin und wieder von Eltern, von alleinstehenden Müttern in deren bescheidene Unterkunft - ein Zimmer für ganze Familien - eingeladen. «Noch nie», stellen sie fest, «hat sich jemand von den Medien für uns interessiert, obwohl wir kein Geheimnis daraus machen, dass unser Einsatz eine Annäherung an den Frieden bedeutet.» Stadtrundgänge und Zoobesuche Von jungen Freiwilligen ein Sprung zu pensionierten, die über mehr Zeit verfügen: Ruth Kunz, die lange Zeit als Sozialarbeiterin tätig gewesen ist, unternimmt mit Kosovo-Albanern, deren Zahl jetzt allerdings schwindet, von einem Zürcher Durchgangszentrum aus jeden Freitagnachmittag Ausflüge. Anfänglich waren diese nur für Frauen bestimmt, aber mittlerweile kommen auch Männer und Kinder mit. Sie macht Stadtrundgänge, geht mit ihnen in den Zoo (wobei dieser und die Migros Gratisbesuche ermöglichen) oder ins Landesmuseum. Auch der Tierpark Langenberg wurde besucht - und die Bahnbillette kosteten über 200 Franken. Aber Ruth Kunz kennt sich aus in Betteltouren - die Kirchgemeinde und Bekannte spenden. Dann wieder steht eine interessante Betriebsbesichtigung auf dem Programm, oder es wird in einem Gemeinschaftszentrum gebastelt. Auch zu sich nach Hause lädt Ruth Kunz die Kriegsflüchtlinge ein. Eines Tages überkam die Frauen die Lust zu stricken. Ruth Kunz ging mit ihnen ins Warenhaus und kaufte Wolle über Wolle. - «Gestern», sagt sie, «erhielt ich das erste Telefon von Zurückgekehrten. Es geht ihnen nicht gut. Alles ist sehr teuer in Kosovo, das Geld, das sie erhalten haben, ist schnell aufgebraucht. Das Traurigste aber: Meine Freunde dort haben keine Perspektive.» Deutschunterricht um elf Uhr Nochmals ein Pensionierter: Pfarrer Max Stückelberger aus Riehen bei Basel. Seit seinem Rücktritt vor 15 Jahren wendet er sich besonders den Tamilen zu. Er erinnert sich: Im sehr kalten Januar 1985 kamen sie in grosser Zahl. Sie wurden in einer Zivilschutzanlage untergebracht, assen in einem Heilsarmee-Heim in Kleinbasel Rösti, Mais und andere Nahrung, die sie nicht kannten und die ihnen nicht bekam. In der unterirdischen Anlage konnten sie nur nachts bleiben, morgens mussten sie auf die kalte Strasse, waren tagsüber sich selbst überlassen. Zu Max Stückelberger, dessen Engagement im Christlichen Friedensdienst wurzelt, gesellten sich andere Freiwillige, um zu helfen. Ein Raum wurde als Treffpunkt gemietet. Die Tamilen konnten morgens Tee trinken, Deutschunterricht nehmen. Stückelberger: «Ihr Zeitbegriff war von eigener Art. Begann der Unterricht um neun Uhr, erschienen sie um elf Uhr.» Bald darauf entstand die Freiplatzaktion für Asylsuchende, Region Basel, getragen mehrheitlich von Frauen und Pensionierten. Juristische Beratung in Asylverfahrensfragen wurde nötig. Seit sechs bis sieben Jahren sind vermehrt Familien gegründet worden, es gibt neue Aufgaben für die Freiwilligen. Pfarrer Stückelberger verfasst immer noch Beschwerden, begleitet die Asylsuchenden auf Ämter. Er weiss um das Drama der Untergetauchten - und bleibt doch ohnmächtig. Solcher Einsatz kann sehr an den Kräften zehren, Freiwillige in Max Stückelbergers Umkreis sind krank geworden, einer ist einem Herzinfarkt erlegen. Mechaniker als Rechtsberater Seit zehn Jahren wirkt Hansjörg Trüb aus Cham unermüdlich als Freiwilliger. Von Beruf ist er Mechaniker, zu 70 Prozent in einem Ingenieurbüro angestellt. Es begann damit, dass er sich immer wieder in Durchgangszentren umschaute und bald einmal Asylsuchende mitbetreute. Ihn interessierte aber der juristische Aspekt, er wollte den oft verzweifelten Menschen helfen, ihre Rechte wahrzunehmen. Nur musste er einsehen, dass ihm eine Grundausbildung für einen solchen Einsatz fehlte. Es gab nichts anderes, als sich einzuarbeiten, Kurse zu besuchen, Fachbücher zu lesen. Der Verein Asylbrücke in Zug, welcher eine Brücke schaffen möchte zwischen Ämtern, Asylsuchenden und Bevölkerung, machte ihn in der Folge auf «Fälle» aufmerksam. Immer wieder schrieb Hansjörg Trüb Rekurse gegen Ablehnung und Wegweisung von Asylbewerbern, und immer wieder erfolglos. Er erinnert sich, für Kurden aus Prinzip rekurriert zu haben, denn sie seien bei ihrer Rückkehr oft misshandelt worden. Heute sei der Verfahrensablauf differenzierter. Er hat nun mit seinen vielfältigen Eingaben hin und wieder Erfolg. Zunehmend berät er die Asylsuchenden auch allgemein, in Versicherungsfragen, Mietrecht, Heirat (für eine solche sind nicht immer Dokumente aus dem Herkunftsland vorhanden). Er übersetzt Ausweise vom Deutschen ins Englische (für Botschaften) und bis zu 20-seitige Gerichtsdokumente vom Englischen ins Deutsche. Zu seiner Tätigkeit gehört es auch, die Leute zu informieren, Merkblätter über neue Regelungen zu verteilen und diese zu erklären. «Ich hätte Mühe», sagt er, «wenn man mir diese ganze Arbeit wegnähme, sie bedeutet mir sehr viel.» Entlastung von Druck Irène Hiller arbeitet als professionelle Maltherapeutin. Einmal in der Woche jedoch malt sie unentgeltlich mit Kindern eines Durchgangszentrums in Zürich. Von ihren zwölf Schülern sind vier Vollwaisen. Es geschieht, dass mitten im Malen einem Kind die Tränen kommen - es geht hinaus, um ihnen freien Lauf zu lassen. Man weiss von Kindern, die im Kriegsgebiet ihre Eltern haben begraben müssen. Sie malen mit Gouache-Farben auf grosse Blätter, die mit Reissnägeln an die Wand geheftet sind, manchmal formen sie Figuren aus Ton. Die Furcht vor dem Aufstehen Das Kosovo-Drama im vergangenen Jahr erschütterte die Germanistin Colette Fehlmann- Peterhans aus Mettmenstetten, Mutter von zwei noch kleinen Kindern, derart, dass sie auf irgendeine Weise helfen wollte. Seither betreut sie zwar keine albanische, wohl aber eine bosnische Familie mit. Der Mann ist seit 1991 in der Schweiz, die Frau seit 1995. Die drei Kinder wurden hier geboren. 1996 erhielt die Familie einen negativen Bescheid - die Wegweisung stand vor der Türe. Jahrelang stand die Familie unter einem ungeheuren Druck; jeden Morgen vor dem Aufstehen fürchteten sie, es komme jemand und hole sie weg. Colette Fehlmann hat an das Bundesamt für Flüchtlinge und an Bundesrätin Ruth Metzler einen Bericht gesandt, in dem sie den dauernden Angstzustand beschrieb. Es gab auch für sie kleine Krisen, als die Bosnier in ihrer ganzen Enttäuschung einmal vermuteten, sie arbeite gar nicht für, sondern gegen sie. Die beiden Familien sitzen oft zusammen, reden und reden. Der bosnische Vater kann Deutsch. Die Mutter tut ihre Zuneigung kund, indem sie für die Schweizer Brot bäckt und eine riesige Tischdecke häkelt. Colette Fehlmann fiebert mit der Familie dem Entscheid entgegen. Sie ist fast zuversichtlich, dass diese - im Rahmen der «humanitären Aktion 2000» - vorläufig in der Schweiz bleiben kann. Wird dem so sein, ist das grösste Problem gelöst und ihre Betreuung nicht mehr so notwendig. Ein Durchgangszentrum wird sie mit andern Asylsuchenden bekannt machen. Marianne von Arx-Wegner
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