Die Presse (Wien), 07.07.2000 Große Nervosität in Berlin vor dem Khatami-Besuch An Deutschlands Grenzen soll für die Dauer der Visite des iranischen Präsidenten das Schengen-Abkommen aufgehoben werden. Von unserem Mitarbeiter Marcel Linden BERLIN. Der Ausdruck "Prügelperser" ist in Deutschland ein fester politischer Begriff. Er bezeichnet jene iranischen Geheimdienstleute, die beim Besuch von Schah Reza Pahlewi 1967 in Berlin Demonstranten mit Stöcken traktiert hatten. Im Verlauf einer chaotischen Kundgebung war damals auch der Student Benno Ohnesorg von einem überforderten Polizisten erschossen worden. Dieser Gewaltakt galt als Fanal für den Beginn der Studentenunruhen. Die in die Jahre gekommenen "68er", die heute in der Berliner Regierung sitzen, haben nunmehr das zweifelhafte Privileg, nach 33 Jahren Pause wieder einen Staatsgast aus dem Iran zu empfangen. Die Nervosität der deutschen Sicherheitsbehörden ist so groß, daß manche sogar an eine Ausladung von Präsident Mohammad Khatami denken, um einen Skandal zu vermeiden. Innenminister Otto Schily hat sogar eine Aufhebung des Schengen-Abkommens bewirkt. Im Zeitraum vom 7. Juli bis 12. Juli werden an den deutschen Grenzen zu Luxemburg, Belgien, den Niederlanden, Frankreich und Österreich aus Angst vor einem Einsickern iranischer Oppositioneller die Kontrollen wieder durchgeführt. Heftige Zusammenstöße zwischen Ordnungskräften und iranischen Oppositionellen scheinen programmiert. Andererseits hatten auch letztes Jahr lautstarke Proteste in Paris und Rom die Normalisierung der Beziehungen des Mullah-Regimes mit Frankreich und Italien nicht aufhalten können. Der sogenannte Nationale Widerstandsrat des Iran hat versprochen, in Berlin friedlich zu demonstrieren. Die militanten Volksmudschaheddin sind straff organisiert und gelten als gewaltbereit. Erstaunlich ist die Tatsache, daß 175 Bundestagsabgeordnete und 300 Landtagsabgeordnete den Staatsbesuch in einem fraktionsübergreifenden Appell ablehnen. Sie warnen vor einer Aufwertung eines undemokratischen Systems, bei dem Todesurteile, Folter an Gefangenen und Unterdrückung der Opposition vorherrschten. Kopfschütteln bei Fischer Im Auswärtigen Amt schüttelt man über diese Querschläge aus Bundestag und Landtagen nur den Kopf. Außenminister Joschka Fischer war im März in Teheran, um die langersehnte Normalisierung der bilateralen Beziehungen voranzutreiben. Die Beziehungen waren auf dem Nullpunkt gewesen, als ein deutsches Gericht - in einem international einmaligen Vorgang - die iranische Führung für den Mord an Kurden im Berliner Restaurant "Mykonos" verantwortlich gemacht hat. Im Gegensatz hatte das Mullah-Regime den deutschen Geschäftsmann Helmut Hofer ins Gefängnis geworfen, weil er angeblich sexuelle Beziehungen zu einer Moslemin gehabt hatte. Khatami hat sich explizit gegen die politische Isolation seines Landes gewandt. Ausufernde Proteste in Berlin könnten wiederum die Konservativen in Teheran stärken. Im April waren Aussagen iranischer Intellektueller bei einem Kongreß in Berlin Auslöser für heftige Kontroversen und auch Verhaftungen im Iran.
|