Tagesspiegel, 8.7.2000 Mörderische Hitze In der Türkei und Südeuropa brechen Temperaturen alle Rekorde Susanne Güsten Neidvoll blicken viele Türken in diesen Tagen in den äußersten
Osten ihres Landes, wo sich ein Team von Bergsteigern den Ararat hocharbeitet:
Die Mannschaft stapft auf ihrem Weg zum Gipfel durch tiefen Schnee.
Gut 5000 Meter über dem Meeresspiegel sind die Bergsteiger vor
der unerträglichen Hitze sicher, die seit Tagen die übrige
Türkei lähmt. Asphaltierte Straßen schmelzen, Wälder
brennen, und die Notaufnahmen der Krankenhäuser arbeiten im Akkord.
Seit Jahrzehnten ist es selbst in der Türkei nicht mehr so heiß
gewesen. Den Rekord hielt am Donnerstag die südostanatolische Stadt
Diyarbakir, wo mittags offiziell 45 Grad im Schatten gemessen wurden.
Doch auch in anderen Landesteilen war es kaum erträglicher, und
die Temperaturen stiegen weiter. Während sich die Touristen am Mittelmeer immerhin in ihre klimatisierten
Hotels zurückziehen können, ist die Hitze für Bewohner
der ärmeren Regionen wirklich lebensgefährlich. In einigen
Teilen des Landes riefen die Behörden inzwischen die Bevölkerung
auf, zu Hause zu bleiben und vor allem in den Mittagsstunden nicht auf
die Straße zu gehen. Die Gesundheitsämter rieten dringend
vom Verzehr nicht ganz frisch zubereiterer Lebensmittel ab und forderten
Eltern auf, ihren Kindern reichlich Wasser einzuflößen, um
Durchfallerkrankungen vorzubeugen. Im Westen und Süden des Landes
kämpften Feuerwehr und freiwillige Helfer gegen immer wieder aufflammende
Waldbrände. Alle fliehen aus den Städten Die Städte im Südosten sind fast menschenleer. In Sanliurfa etwa, wo ebenfalls 44 Grad herrschen, ist schon längst ans Meer oder in die Berge geflohen, wer es sich leisten kann; die Zurückgebliebenen campieren am Stausee vor der Stadt - wohin spontan auch alle Hochzeits- und Beschneidungsfeiern verlegt werden. Hält die Hitze noch etwas an, dann könnte das Leben in der Türkei ganz zum Stillstand kommen: Schon jetzt warnt die Autobahnmeisterei vor erhöhter Unfallgefahr durch dahinschmelzende Straßenbeläge; kühlt es nicht bald ab, dann will sie ein Fahrverbot für Lastwagen verhängen. Dabei ist auch das Stehenlassen gefährlich: In Bolu brannte ein in der Sonne geparktes Fahrzeug aus, als der Tank explodierte. Die ungewöhnliche Hitzewelle in Südosteuropa hat bis Donnerstag etwa 60 Menschenleben gefordert. Allein in Kroatien kosteten die extremen Temperaturen innerhalb von zwei Tagen mehr als 40 Menschen das Leben. In Rumänien kamen landesweit bislang neun Menschen durch hitzebedingte Schwächeanfälle um, auch in Griechenland und in Bulgarien starben Menschen. Dort wurde am Mittwoch mit 45 Grad der bisherige Hitzerekord gemessen. Der heißeste Juli seit Jahrzehnten Meteorologen in Zagreb und Sofia erklärten, es sei der heißeste
Juli der vergangenen Jahrzehnte. In der rumänischen Hauptstadt
wurde sogar vom heißesten Juli der letzten hundert Jahre gesprochen.
Eine hohe Luftfeuchtigkeit von bis zu 65 Prozent macht die Hitze noch
unerträglicher. In dem Hitze geplagten Südosten Europas soll es zum Teil noch heißer werden als bisher. In Rumänien wurde bereits das Trinkwasser rationiert. Das Rote Kreuz verteilte auf den Straßen Mineralwasser. Im Südwesten des Landes wurde mit 41 Grad der höchste Wert seit 1916 gemessen.
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