Hannoversche Algemeine Zeitung, 8.7.2000
"Brauchen humane Einwanderungspolitik"
Die Debatte um ein Einwanderungsgesetz hat nach Ansicht von Paul Spiegel,dem
Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, eine Schieflage.
"Menschlichkeit müsste bei der gesamten Debatte um die Zuwanderung
unser oberstes Gebot sein und nicht die Überlegung, wie man Menschen
aus Deutschland fern halten kann", sagt der 62-Jährige.
Dass Deutschland mit einem Einwanderungsgesetz Regeln für die künftige
Immigration aufstellt, hält auch Spiegel für geboten, allerdings
sollte dieses Gesetz kein reines Einwanderungsbegrenzungsgesetz sein.
"Der Staat darf sein Handeln nicht nur von Eigennutz leiten lassen",
sagt Spiegel und fordert "mehr Toleranz und Gerechtigkeit"
bei der Diskussion um die Zuwanderung. Auch Menschen, die aus rein wirtschaftlichen
Gründen in die reiche Bundesrepublik Deutschland kämen, dürfe
man nicht übel nehmen, dass sie ihre Lage verbessern wollten.
"Ich halte es auch für falsch, die Einwanderung nur von der
beruflichen Qualifikation abhängig zu machen, wie es zuweilen gefordert
wird", sagt Spiegel. Es gebe immer Härtefälle, die berücksichtigt
werden müssen. Mit einem neuen Einwanderungsgesetz möglicherweise
das deutsche Grundrecht auf Asyl aushebeln zu wollen, wäre für
Spiegel völlig verkehrt. "Die Bereiche Einwanderung und Asyl
sollten nicht vermengt werden."
Spiegel nennt das Beispiel der jüdischen Gemeinden in Deutschland,
die - nicht immer ohne Konflikte - in den vergangenen zehn Jahren mehr
als 50 000 osteuropäische Juden aufgenommen haben. Diesen Kontingentflüchtlingen
aus den Staaten der früheren Sowjetunion müsse Deutschland
weiterhin eine Heimat bieten. "Für diese bedrängten Juden
muss die Einreise garantiert bleiben - in einem geregelten Verfahren."
Spiegel schätzt, dass in den kommenden drei bis vier Jahren 30
000 bis 40 000 Juden aus den GUS-Staaten in die Bundesrepublik kommen.
Mit seinen Appellen zu Toleranz und Offenherzigkeit liegt Spiegel etwas
quer zur aktuellen Diskussion der Politiker. Dem ruhigen Westfalen behagt
der derzeitige Parteienstreit nicht, etwa um die Frage, ob die frühere
Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth die geplante Einwanderungskommission
leiten sollte. Da will sich Spiegel erst gar nicht einmischen. Wenn
der Zentralrat der Juden um eine Mitwirkung in dieser Kommission gebeten
wurde, sei man aber dabei.
Eine Mitwirkung des Zentralrats erwartet Spiegel auch beim Kuratorium
der geplanten Stiftung für die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern.
Mehrfach hat er dagegen protestiert, dass der deutsche Zentralrat nach
den bisherigen Plänen nicht mit einem Sitz in dem Stiftungskuratorium
berücksichtigt worden ist. In dem Kuratorium sitzen Vertreter der
Bundesregierung, des Bundestags und Bundesrats, der Regierungen Israels,
der USA und mehrerer osteuropäischer Länder sowie die in den
USA beheimatete Jewish Claim Conference. "Warum wir nicht dabei
sind, ist mir unverständlich."
Michael B. Berger, Hannover
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