taz 10.7.2000 "Wo waren Sie?" "Eisernes Schweigen" zu Folter wirft ein iranischer Student Chatami vor Sehr geehrter Herr Chatami, [...] Sie mit Ihrem relativ populären Programm bekamen von der Bevölkerung die Zustimmung zu Reformen und zur Wegbereitung zu einer demokratischen Gesellschaft. Die Menschen im Iran, die bis zu Ihrer Wahl zum Präsidenten große Opfer erbrachten, erwarteten von Ihnen, zumindest Ihrem Eid treu zu bleiben und im Umgang mit der Diktatur tapfer zu sein. Das Volk erwartete von Ihnen, die studentische Protestbewegung, die sich beim Fehlen von Freiheit und Parteien als Sprachrohr der Bevölkerung formierte, zu unterstützen. Es zeigte sich jedoch: Je brutaler die Überfälle der Reaktionäre und der paramilitärischen Schlägertrupps der Hizbollah, Bassidj usw. auf die Veranstaltungen und Aktionen der Studenten wurden, umso mehr bedachten Sie diese Studenten mit Ihrem eisernen Schweigen. Ihre Ignoranz, unseren Hilferufen Beachtung zu schenken, animierte umso mehr diese Terrortruppen. [...] Sehr geehrter Herr Präsident, es schmerzt mich sehr, wenn ich mir die Opfer und die Verbrechen an den Studentenprotesten des 8. Juli des vergangenen Jahres vor Augen führe, wenn ich an die bestialischen und mittelalterlichen Folterungen denke, denen viele ausgesetzt sind, und wenn ich an Ihr eisernes Schweigen denke. Wo waren Sie, als man uns in den Folterstätten: Zu der Zeit, als Sie von der zivilen Gesellschaft sprachen [...], wurden wir in dem grauenvollen Gefängnis "Tawhid" bestialisch gefoltert. Ich spreche von jenem Gefängnis, von dem Ajatollah Chamenei in seinen Memoiren berichtet, als er für nur 48 Stunden dort war. Er bezeichnet diese 48 Stunden als "seine bittersten und schlimmsten Tage seines Lebens"! Und wir, Herr Präsident, wir wurden unter dem jetzigen Regime und unter grausameren Umständen für 130 Tage in dieses Gefängnis gesteckt. [...] Unser Verbrechen ist, dass wir einen freien und unabhängigen Iran wollen, dass wir nach Meinungs- und Pressefreiheit verlangen und für die freie Betätigung der Parteien kämpfen. Unser Verbrechen ist, dass wir von einer demokratischen Ordnung, die auf der Trennung von Religion und Staatsführung basiert, überzeugt sind und uns für eine laizistische Staatsform einsetzen, dass wir Ungerechtigkeit und Unterdrückung im Land anprangern. Sehr geehrter Herr Präsident, Sie weigerten sich uns anzuhören. Wie möchten Sie ihre zivile und mannigfaltige Gesellschaft realisieren? Wie wollen Sie ihren "Dialog der Kulturen" gestalten? [...] GHOLAN-RESA MOHADSCHERI NESCHAD |