Süddeutsche Zeitung, 10.7.2000 Studenten und konservative Kräfte prallen aufeinander Demonstrationen in Iran überschatten Chatami-Besuch Polizei bereitet sich bei Visite des Präsidenten in Berlin auf inszenierte Tumulte vor / Grenzkontrollen verschärft / Von Stefan Kornelius Berlin - Demonstrationen und Festnahmen in Teheran und die Furcht vor Krawallen in Berlin haben am Wochenende neue Spekulationen über eine Absage des Besuchs des iranischen Präsidenten Mohammed Chatami in Deutschland genährt. Gleichwohl hieß es am Sonntag aus der Bundesregierung, der Besuch könne wie geplant stattfinden. Die Regierung verzichtete auf jeden offiziellen Kommentar zu dem Besuch. Aus Regierungskreisen hieß es, man wolle keine Gelegenheit zu falschen Interpretationen geben. In Iran wurde die Visite bereits am Freitag offiziell angekündigt. Polizei und Bundesgrenzschutz bereiteten sich auf eine Demonstration vor, für die der politische Arm der radikalen Volksmudschaheddin, der Nationale Widerstandsrat, mit bis zu 25 000 Teilnehmern rechnet. Die Behörden gehen allerdings von weit weniger Teilnehmern aus, befürchten aber gezielte Provokationen oder inszenierte Tumulte, die in Iran als Herabwürdigung des Landes interpretiert würden. Ziel der ultralinken wie auch konservativen Demonstranten ist die Destabilisierung der als reformfreudig geltenden Regierung Chatamis. Am Sonntag seien an den Grenzen ausländische Reisende gestoppt worden, die keine Aufenthaltsbewilligung hatten, teilte das Innenministerium mit. Darunter hätten sich auch Iraner befunden. Für besondere Beunruhigung in der Bundesregierung sorgten gewalttätige Demonstrationen zwischen konservativen und reformorientierten Kräften in Teheran und die Verhaftungen iranischer Studenten. Nach Agentur-Berichten kam es am Samstag in Teheran zu Gewalt zwischen Studenten und militanten Bürgerwehren. Die Demonstranten erinnerten an den Jahrestag der Studentenunruhen von 1999. Als die Polizei Tränengas einsetzte, flogen Steine. Daraufhin durchbrachen militante Anhänger konservativer Bürgerwehren die Absperrungen und gingen mit Glasscherben auf die Demonstranten los. Chatami distanzierte sich von den Gewalttaten, offensichtlich um seinen Gegnern keine Angriffsmöglichkeit zu bieten. Die Demonstrationen standen nicht in unmittelbarem Zusammenhang zur Reise. Gleichwohl gehen Beobachter davon aus, dass eine Eskalation die Reise gefährden könnte. Die Bundesregierung will mit dem Besuch die Öffnung Irans unterstützen und ihre Sympathie für die Reformkräfte dokumentieren. In der englischsprachigen Presse in Iran avancierte der Besuch zum wichtigsten Thema und wurde in Berichten auf den Titelseiten und in Kommentaren gewürdigt. Die Rede ist von einem grundlegenden Neuanfang. Die konservativen Zeitungen enthielten sich jeden Kommentars, das Fernsehen berichtete nur kurz. Chatami hatte Zeitungsberichten zufolge am Freitag die geistige Führung des Landes aufgefordert, mehr Freiheit zuzulassen. Ansonsten könne es zu Gewaltausbrüchen im Land kommen. Den Menschen müsse erlaubt werden, frei zu sprechen und ihre Regierung zu kritisieren. Der geistige Führer des Landes, Ajatollah Ali Chamenei, machte hingegen "ausländische Feinde" für die Unruhen verantwortlich. Er berief die Führung des Landes zu sich und forderte die Nation auf, angesichts "überheblicher Mächte" auf der Hut zu sein. |