web de 09.07.2000 17:58
Israelische Regierungskoalition vor dem Aus
Schas-Partei kündigt Ausstieg an - Außenminister Levi
will Nahost-Gipfel boykottieren - Innenminister Scharanski reicht Rücktritt
ein
Jerusalem/Washington (AP)
Zwei Tage vor dem Beginn des Nahost-Gipfels in den USA stand die Regierungskoalition
des israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak vor dem Aus. Baraks
größter Koalitionspartner, die ultraorthodoxe Schas-Partei
verkündete am Sonntag ihren Ausstieg aus der Koalition. Wegen Zweifel
an den Erfolgsaussichten des Gipfels wollte auch Außenminister
David Levi die Reise nach Camp David nicht antreten. Am Sonntagmorgen
hatte bereits Innenminister Natan Scharanski von der Einwandererpartei
Israel B'Aliya seinen Rücktritt eingereicht. Damit sind die Chancen
auf eine parlamentarische Mehrheit für ein Friedensabkommen praktisch
auf Null gesunken.
Die Schas-Partei, die in der Vergangenheit schon mehrfach ihren Austritt
aus der Koalition angedroht hatte, begründetet ihren Schritt am
Sonntag mit Bedenken, dass Barak zu große Zugeständnisse
an die Palästinenser machen könnte. Parteivorsitzender Eli
Ischai kritisierte, der Regierungschef habe keine klaren Grenzen für
Kompromisse mit den Palästinensern genannt. Ischai rief Barak zu
einer Einigung im Interesse des israelischen Volkes auf. Sollte er in
Camp David eine Einigung aushandeln, die den Menschen in Israel Sicherheit
bringe, dann sei ihm die Unterstützung der Schas-Partei sicher,
auch wenn sie nicht mehr Mitglied der Koalition sei.
Formal wird der Rückzug der Schas-Partei erst nach 48 Stunden gültig.
Die Chancen auf eine parlamentarische Zustimmung für einen Friedensvertrag
mit den Palästinensern verringern sich mit dem Rückzug ihrer
17 Abgeordneten aber erheblich. Bereits in der vergangenen Woche hatte
die Nationalreligiöse Partei ihren Ausstieg aus Baraks Koalition
erklärt. Der Regierungschef reist am (morgigen) Montag nach Camp
David bei Washington, um unter Vermittlung von US-Präsident Bill
Clinton ein Friedensabkommen mit dem palästinensischen Präsidenten
Jassir Arafat auszuhandeln.
Vor Beginn des Gipfels sollten in Washington Vorgespräche zwischen
Israelis und Palästinensern beginnen, in denen eine Annäherung
der teilweise noch weit auseinanderklaffenden Positionen angestrebt
wurde. Mit Blick auf den Gipfel traf Barak am Samstag auch mit dem jordanischen
König Abdallah zusammen. Arafat selbst flog am Samstagabend nach
Kairo, um dort mit dem ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak
zu sprechen. Die wichtigsten Verhandlungspunkte in Camp David sind Gebietsfragen,
der dauerhafte Status der palästinensischen Autonomiegebiete und
der Status von Jerusalem, dessen Ostteil die Palästinenser als
Hauptstadt eines eigenen Staates beanspruchen.
Am Sonntagmorgen wurde im Gazastreifen eine 33-jährige Palästinenserin
von israelischen Soldaten erschossen, vier Menschen wurden teilweise
schwer verletzt. Auslöser des Vorfalls war nach Angaben eines Militärsprechers
der Beschuss der jüdischen Siedlung Kfar Darom aus einem vorbeifahrenden
Auto. Die Soldaten erwiderten das Feuer, trafen aber ein anderes Auto.
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