junge Welt, 1.07.2000 Stillstand und Bewegung An Irans Präsidenten Khatami scheiden sich Geister. Verschiedene Strömungen in der Gesellschaft In Berlin haben sich die Exil-Iraner seit längerem auf zwei wichtige Ereignisse dieser Tage vorbereitet: den 18. Tir - den ersten Jahrestag des Überfalls auf ein Teheraner Studentenwohnheim, der zu sechs Tage lang dauernden Studentenunruhen an verschiedenen Universitäten geführt und mehr als zehn Tote und Hunderte Verletzte gekostet hatte - und den Besuch des iranischen Präsidenten Mohammed Khatami, der am Montag in der deutschen Hauptstadt eintraf. Khatami kam in eine Stadt, die "dem wichtigsten Zentrum der Konterrevolutionäre" gehöre, wie die ihm nahestehende Zeitung Sobh-e Emrouz kurz vor ihrem Verbot vor einigen Wochen schrieb. Es nimmt nicht wunder, daß selbst ein reformorientiertes Blatt wie Sobh-e Emrouz mit solchen Worten den Verdacht der Unberechenbarkeit erhebt. Schließlich fand in Berlin 1997 der "Mykonos"-Prozeß statt, der mit der Verurteilung der iranischen Staatsführung als Verantwortliche und Urheberin des tödlichen Attentats auf vier oppositionelle Exil-Iraner endete. Im damaligen Urteilsspruch war eindeutig vom iranischen Staatsterrorismus die Rede. Das "Mykonos"-Urteil, das heute noch von der iranischen Regierung kritisiert wird, führte zur Schließung der Botschaften der europäischen Länder in Teheran, und die Politik des "kritischen Dialogs", die der damalige Außenminister der Bundesrepublik, Klaus Kinkel, verfolgte, war vorerst auf Eis gelegt. Erst mit der Wahl Khatamis zum Staatspräsidenten 1997 wurden Beziehungen zum Iran vorsichtig wieder aufgenommen. Im Land selbst wurde das politische und gesellschaftliche Klima liberaler und offener. Unmittelbar nach den Wahlen verwandelten sich frühere Leiter des iranischen Geheimdienstes und ehemalige Geiselnehmer, die während der Revolution 1979 die US-Botschaft besetzt gehalten hatten, in Chefredakteure, die in ihren Zeitungen und Zeitschriften kühn die Reformpläne des neugewählten Präsidenten verteidigten. Sie proklamierten eine Islamische Republik, in der Frauen und Männer gleiche Rechte haben und Demokratie und Menschenrechte verwirklicht sind. Nach einigen Monaten war die Zeitung Jame'eh, der Eisbrecher der Reformen, noch unter dem Druck der Konservativen geschlossen worden. Bald erschien sie als Tus wieder, die jedoch bald das gleiche Schicksal ereilte. Als Tus dann unter dem Namen Neshat wieder auferstanden war, fand sie sich bereits in Gesellschaft weiterer Reformblätter: Khordau, Sobh-e Emrouz, Arya und Zan, denen wiederum zahlreiche Presseerzeugnisse folgten. Dabei wird deutlich, worin Khatami Rückhalt für seine Politik findet: Zum einen stehen hinter ihm jene Kräfte, die seinen oft geäußerten Wunsch nach einer "zivilen Gesellschaft" tragen - Studenten, Intellektuelle und die jungen Wähler, vor allem Frauen, die, wann immer sich die Gelegenheit bietet, die Reformkandidaten mit ihrer Stimme unterstützen. Zum anderen ist dies eben die Presse, die niemals in der Geschichte Irans - mit Ausnahme einer kurzen Zeit nach der Islamischen Revolution - sich so progressiv und zahlreich gestaltete wie seit der Wahl Khatamis. Mit der Schließung aller wichtigen Reformblätter des Landes im Mai dieses Jahres haben die Konservativen denn auch den Reformkräften eine der wenigen Möglichkeiten genommen, sich öffentlich zu äußern und damit Khatami empfindlich geschwächt. Bei flüchtiger Betrachtung scheint die iranische Gesellschaft sich derzeit in zwei Strömungen zu spalten, die die Dualität der Regierung widerspiegeln: Konservative und Reformkräfte. Jedoch wird eine solche Einschätzung der Vielfalt und Vitalität der Gesellschaft nicht gerecht. Die Intelligenz und die Studenten streben, obwohl sie Khatamis Politik als tendenziell progressiv bewerten, noch viel weiter als der Präsident, dessen Bemühungen der Festigung der verfassungsmäßigen Institutionen dienen. Viele möchten den islamischen Staat beseitigt sehen und eine liberale Demokratie einführen, was eine Beschränkung der religiösen Aspekte der Gesellschaft auf die private Sphäre nach sich zöge. Nicht vergessen werden darf in diesem Zusammenhang auch, daß ein großer Teil der Kräfte, die - obwohl oftmals selbst eigenen undemokratischen Strukturen verhaftet - gegen die Diktatur in religiösem Gewand gekämpft hatten, im ausländischen Exil lebt und nur auf diese Weise Folter und Tod entkommen konnte. So existieren ebenso über Khatami selbst unterschiedliche Ansichten, die, obwohl sie unvereinbar scheinen, ihre Berechtigung erhalten, da sie die schwierige Wirklichkeit widerspiegeln. Für die einen ist Khatami nicht anders als andere Repräsentanten der Islamischen Republik, dessen Bestrebungen lediglich Teil interner Absprachen innerhalb der Regierung sind und deshalb nicht als authentisch zu werten sind. Andere wiederum sehen in ihm einen Vertreter eines islamischen Systems, dem eben aufgrund der Lehre des Islams und der derzeitigen Landesverfassung eine innere Reformierung versagt bleiben muß. Letztlich stelle auch Khatami die lslamische Republik in ihren Grundfesten nicht in Frage; so könne sich Meinungsfreiheit doch wieder nur innerhalb der gegebenen Strukturen entwickeln und werde das Recht darauf bestenfalls nicht mehr mit Gefängnis- oder Todesstrafe verletzt. Für viele jedoch verkörpert Khatami den Beginn des Zerfalls der konservativen Regierung und Macht, der den Weg ebnet für einen unblutigen Übergang zu einem demokratischen System. Mit der Öffnung nach außen, die zentraler Inhalt der Politik Khatamis ist, werde es den konservativen Kräften unmöglich sein, die Einbindung des Iran in das internationale Staatensystem weiterhin zu verhindern, und Khatami werde selbst irgendwann von seiner eigenen Politik eingeholt - so, wie es einst Gorbatschow erging. Wahrlich ist Khatami kein Revolutionär, der die religiös- ideologischen Grundlagen der lslamischen Republik in Frage stellt oder gar die Umwälzung des Systems fordert. Er steht vor einem unlösbaren Widerspruch: dem von ihm gewünschten Dualismus der Bewahrung des Gottesstaates einerseits und der Formierung einer zivilen Gesellschaft andererseits. Die staatlichen Machtinstrumente - Militär und Polizei, Geheimdienste, Revolutionsgarden und die Justiz - befinden sich immer noch in den Händen der Konservativen. Zwar besteht Khatamis Stärke darin, daß er sich allmählich, teilweise erfolgreich, den weit verzettelten und heterogenen Machtapparat gefügig zu machen sucht und gleichzeitig die Mehrheit der Öffentlichkeit hinter sich weiß. Dennoch folgen dem Erreichten kaum durchgreifende Veränderungen, und die Ungeduld großer Teile der Bevölkerung wächst zusehends. Khatami vertritt mit seinem Verhalten die These seines persönlichen Beraters Said Hadjarian, nach der sich innere Reformen nur durch den Druck der Öffentlichkeit und gleichzeitige Verhandlungen mit den eigentlichen Trägern der Macht vollziehen können. Tatsächlich jedoch werden die Forderungen der Öffentlichkeit, sobald sie über die Ziele Khatamis hinausreichen, auch von ihm öffentlich verdammt. Die Kluft zwischen dem geäußerten Anspruch auf Demokratie und dem Willen, ihn doch nur begrenzt zu verwirklichen, ist unübersehbar. Maja Zwick / Majid R. Zadeh
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