taz 11.7.2000

Volksmudschaheddin im Regen

"Weg, weg, weg, Chatami muss weg!" 7.000 Exil-Iraner protestieren gegen den Deutschlandbesuch von Präsident Chatami. Größte religiöse Minderheit begrüßt Dialog mit Teheran. Erwartete Unruhen bleiben aus

aus Berlin PHILIPP GESSLER und NICHOLAS KÖRBER

Es regnet in Strömen, aber die Exil-Iraner sind tapfer. Männer, Frauen und Kinder stehen auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor in Berlin zusammen und trotzen der Nässe: Mit grün-weiß-roten Fahnen, Sprechchören und Plakaten protestieren sie gegen den Besuch des iranischen Staatspräsidenten Mohammad Chatami - und das Mullah-Regime insgesamt.

"Weg, weg, weg, Chatami muss weg!", rufen die Demonstranten, sie halten Transparente hoch mit Aufschriften wie "Der Handel mit den Mullahs geht zu Lasten der Menschenrechte". Die Demonstration ist friedlich, fast familiär - nicht wie damals, als vor 33 Jahren der letzte persische Staatschef nach Berlin kam und "Prügelperser" mit Latten damalige Regimegegner attackierten.

Das ist heute schon deshalb anders, weil weniger da sind als erwartet. Die Demo-Anmelder hatten mit 25.000 Teilnehmern gerechnet. Die Polizei schätzt ihre Zahl auf 7.000. Geprägt wird die Kundgebung durch den "Nationalen Widerstandsrat Iran". Er betrachtet sich als Exilparlament und wird dominiert von den "Volksmudschaheddin". Diese Vereinigung gilt als stalinistisch geprägt und militant.

Auch deshalb zeigt sich die Berliner Polizei leicht nervös. Im Stadtgebiet sind 3.500 Beamte eingesetzt. Allein für gestern waren 13 Demonstrationen angemeldet - ein Spiegelbild der Vielfalt iranischer Exilgruppen in Deutschland. Die zweitgrößte Kundgebung vereinigte etwa 200 Kommunisten auf dem Alexanderplatz. Sie wollten am Nachmittag am Kanzleramt vorbeimarschieren. Als der Hubschrauber mit Chatami auf dem abgesperrten Schlossplatz landet, fliegen Eier in Richtung Polizei. Etwa 20 Demonstranten werden kurzzeitig festgesetzt.

Dabei wollten die Sicherheitsbehörden mögliche Unruhe in der Hauptstadt schon im Vorfeld unterbinden: In der Nacht zum Montag waren 45 Personen vorübergehend festgenommen worden. Nach Polizeiangaben standen sie im Verdacht, den Besuch gewaltsam stören zu wollen. Die Demoplaner kritisierten, tausende ausländische Sympathisanten seien an der Einreise gehindert worden.

Immerhin, ganz unwillkommen war Chatami gestern in Berlin nicht: Die deutsche Gemeinde der Baháí nahm seinen Besuch zum Anlass, auf die Situation ihrer Glaubensgenossen im Iran hinzuweisen. Die in Persien entstandene Religionsgemeinschaft der Baháí ist mit 300.000 Angehörigen die größte religiöse Minderheit im Iran, die sich auf Mohammed als Propheten bezieht. Die Angehörigen werden als "irregeleitete Sekte" betrachtet und als Abtrünnige verfolgt. Wegen Apostasie, d. h. Abfalls vom rechten Glauben, wurden Todesurteile gegen Baháí verhängt. Zur Zeit befinden sich elf Personen im Gefängnis.

Die Baháí sehen im Besuch Chatamis die Perspektive einer Anerkennung demokratischer Grundrechte und Religionsfreiheit. Sie unterstützen daher den Dialog mit dem Regime in Teheran. Christopher Sprung, der Sprecher der deutschen Gemeinde, sagte: Das Auswärtige Amt habe zugesichert, sich für die Belange der Baháí einzusetzen.