Süddeutsche Zeitung, 11.7.2000 Irans Staatspräsident Mohammed Chatami in Deutschland Berlin und Teheran wollen Neuanfang Bundesregierung erhöht Hermes-Bürgschaften auf eine Milliarde Mark / Proteste von Exil-Iranern Berlin (SZ) - Bundeskanzler Gerhard Schröder wünscht einen "wirklich substanziellen Neuanfang" der Beziehungen zwischen Deutschland und Iran. Am ersten Tag des Besuchs des iranischen Staatspräsidenten Mohammed Chatami in Berlin kündigte Schröder eine Erhöhung des Rahmens der staatlichen Hermes-Bürgschaften für Geschäfte mit Iran von 200 Millionen auf eine Milliarde Mark an. Im Gespräch mit Bundespräsident Johannes Rau sagte Chatami, die Demokratie als Staatsform sei ohne Alternative. Befürchtete Ausschreitungen bei Protesten gegen Chatamis Besuch blieben zunächst aus. Schröder sagte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Chatami im Berliner Kanzleramt, dass man an die "traditionell guten Beziehungen" zwischen beiden Ländern anknüpfen wolle. Dies werde "auf der Grundlage des wechselseitigen Respekts" vor den unterschiedlichen Kulturen geschehen. In der Diplomatie wird eine solche Formulierung benutzt, um auf bestehende Meinungsunterschiede zwischen den Gesprächspartnern höflich hinzuweisen. Schröder und Chatami gaben solche Unterschiede auf Nachfragen zu, ohne allerdings konkret zu werden. Schröder erläuterte lediglich, Chatami habe von der Notwendigkeit gesprochen, "kulturelle Traditionen mit den Forderungen der Moderne in Übereinstimmung zu bringen". Dies könne, sagte der Kanzler, nicht über Nacht geschehen und darüber habe er mit seinem Besucher "einen fairen Austausch" gepflegt. Im Zusammenhang mit der Bewertung gewalttätiger Oppositioneller in Iran und im Ausland sprach Chatami von sich als einem "Präsidenten, der angefangen hat, Reformen durchzuführen". Wirtschaftskontakte beleben Breiten Raum hat in der Unterredung nach den Worten Schröders die Entwicklung der kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen eingenommen. Man wolle, meinte Schröder, die Wirtschaftsbeziehungen "dynamisch ausbauen", wozu auch die Erhöhung des Rahmens der Hermes-Bürgschaften gehöre. Die deutsch-iranische Wirtschaftskommission, die seit 1991 nicht mehr getagt hat, soll "unverzüglich ihre Arbeit wieder aufnehmen". All dies werde deutschen Investitionen in Iran zugute kommen. Zum Kulturaustausch sagte Präsident Chatami, deutsche Denker hätten sowohl die Moderne als auch die Postmoderne entscheidend geprägt. Hier gebe es viele Anknüpfungspunkte zum Dialog der Kulturen. Ähnlich hatte sich Chatami, der früher zwei Jahre in Deutschland verbracht hatte, bereits in seinem Gespräch mit Bundespräsident Rau geäußert. Auf die Frage, wann das seit längerem geschlossene Goethe-Institut in Teheran wieder geöffnet werden könne, antwortete Chatami ausweichend und verwies auf laufende Verhandlungen. Insgesamt sei sein Land, sagte der Präsident, "stabil und entschlossen zum Fortschritt". Chatami war am Montagvormittag in Berlin eingetroffen. In den Tagen zuvor hatten Kanzleramt, Außenministerium und Sicherheitsbehörden immer wieder vor möglichen Ausschreitungen bei den erwarteten Demonstrationen gewarnt. Verschiedentlich war unter Hinweis auf die innere Lage in Iran sogar von der Möglichkeit einer kurzfristigen Absage des Besuchs gemunkelt worden. Im Gegensatz zu diesen Szenarien verlief der erste Tag der Visite relativ friedlich. Die Berliner Polizei hatte vor Chatamis Ankunft in der Nacht zum Montag mehrere Wohnungen von Exil-Iranern durchsucht und etwa 50 Personen vorläufig festgenommen. "Keine größeren Störungen Exil-iranische Organisationen, darunter die militanten Volksmudschaheddin, protestierten zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz gegen den Besuch. Auf Plakaten wurde Chatami als "Mörder der Studenten" bezeichnet. Die Polizei schätzte die Zahl der Demonstranten auf rund 7000; die Organisatoren der Kundgebungen sprachen von 20 000 Teilnehmern. Angesichts von mehr als 100 000 Exil-Iranern, die allein in Deutschland leben, bezeichneten Experten die Demonstrationen als eher moderat. Ein Polizeisprecher sagte, es habe bei den Protesten bis zum Nachmittag "keine nennenswerten Störungen" oder Gewalttätigkeiten gegeben. Selbst die Verkehrsbehinderungen, die von Berliner Medien gern in düstersten Farben prognostiziert werden, hielten sich in Grenzen. Zum Auftakt seines Besuchs hatte sich Chatami mit Bundespräsident Rau getroffen. Rau sagte zu Chatami, die Tatsache, dass es in den gemeinsamen Gesprächen "auch kritische Töne" gebe, sei ein Zeichen des Vertrauens. Chatami habe, so eine Sprecherin des Präsidialamts, Rau erläutert, dass die Ausgestaltung der Demokratie in Iran auch die kulturellen Erfahrungen des Volkes widerspiegele.
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