Süddeutsche Zeitung, 11.7.2000 Modernisierer des Gottesstaates Mohammed Chatami will die islamische Republik nicht abschaffen, sondern stärken / Von Rudolph Chimelli Am Brandenburger Tor protestierten die Gegner gegen den Besuch des iranischen Präsidenten mit dem immer gleichen Sprechchor: "Tod für Chatami! - auf Persisch wohlgemerkt, nicht auf Deutsch. "Tod für Chatami!" stand auch auf Spruchbändern, aber wieder nur in persischer Schrift. Auf Deutsch hieß es legalistisch und zahm: "Boykott ja, Handel nein". Denn dass sie mit Todeswünschen keine demokratische Alternative zu dem von ihnen als gewalttätig verdammten "Mullah-Regime" darstellen, muss den oppositionellen Volksmudschaheddin selber klar geworden sein. Sie agitieren gemäß dem eigenen politischen Verständnis und für den Hausgebrauch. Mohammed Chatami will durch den Besuch in Deutschland seiner Reformpolitik mehr internationalen Rückhalt verschaffen. Seine konservativen Rivalen in Teheran sollen durch die Auftritte des Präsidenten in Berlin und in Weimar keineswegs brüskiert, sondern behutsam ausmanövriert werden. Das Ziel Chatamis ist nicht die Überwindung oder gar Abschaffung der islamischen Republik, sondern deren Modernisierung. Indem der Präsident die gröbsten Ecken und Kanten des Systems abzuschleifen versucht, strebt er danach, sich größere Akzeptanz beim Volk zu verschaffen. Langfristig soll damit die Überlebenskraft des Gottesstaates gestärkt werden. Ein iranischer Gorbatschow, der das Haus zum Einsturz bringt, in dem auch er lebt, möchte Chatami auf keinen Fall werden. Erste Voraussetzung für die Festigung des Systems ist die Beseitigung der wirtschaftlichen Misere. Ohne Kapital und Technik aus dem Westen ist dies nicht zu machen. Deutschland als eines der Kernländer der EU wird gebraucht und im weiteren auch wieder Amerika. Nach den Parlamentswahlen im Frühling haben dies einige der siegreichen Anhänger Chatamis offen ausgesprochen. Er selber kann es nicht - nicht in der Heimat und schon gar nicht im Ausland. Er will sich vor seinen Feinden keine unnötigen Blößen geben. Zwar gibt es Anzeichen dafür, dass sich die Geduld seiner Anhänger erschöpfen könnte, vor allem beim jüngeren Fußvolk der Reformer. "Chatami, das ist die letzte Warnung", riefen kleine Gruppen unter den Studenten, die am Wochenende zum Jahrestag ihrer Misshandlung durch radikale Schlägertrupps und Polizei in Teheran demonstrierten. Eine unruhige Minderheit will Taten sehen. Die Mehrheit der gemäßigten Iraner ist jedoch nach wie vor überzeugt, dass Fortschritte nur mit Chatami möglich sind, nicht gegen ihn. Nach jeder Wahl, die der Präsident und seine Parteigänger gewinnen, herrscht Hochstimmung. Nach einigen Monaten, wenn sich nichts Grundlegendes geändert hat und die Reformen weiter auf Eis liegen, sackt die Hoffnung wieder zusammen: Es ist eine Routine, die zu Resignation führt, nicht zu Auflehnung - bisher jedenfalls. Vor allem Chatamis persönlicher Kredit ist bei seinen Landsleuten noch lange nicht erschöpft. Das schleppende Tempo der Reformen wird nicht ihm angelastet, sondern dem Apparat, den er geerbt hat. Und Lust auf eine zweite Revolution hat fast niemand. Die meisten Iraner haben eher die Sorge, dass unkontrollierbare Entwicklungen die wirtschaftliche Erholung und den persönlichen Lebensstandard in Gefahr bringen könnten. Jede West-Reise des Präsidenten weckt neue Hoffnungen. Die Zusage des Bundeskanzlers Gerhard Schröder, Deutschland werde den Rahmen für Hermes-Bürgschaften für den Iran von derzeit 200 Millionen auf eine Milliarde Mark erhöhen, wird als Erfüllung dieser Hoffnungen angesehen. Tatsächlich haben sich die wirtschaftlichen Aussichten Irans durch die Erhöhung der Erdölpreise und durch gestiegene Förderung in letzter Zeit gebessert. Die Einnahmen aus Energieexporten waren im letzten iranischen Jahr, das am 20. März endete, um fast zwei Drittel höher als im Vorjahr. Insgesamt hat das Land Güter im Wert von fast 20 Milliarden Dollar exportiert, von denen mehr als 16 Milliarden auf Energie entfielen. Die Importe wurden mit 13 Milliarden Dollar knapp gehalten. Die Auslandsschulden wurden um drei Milliarden Dollar auf zehn Milliarden reduziert. Die Devisenreserven stiegen auf schätzungsweise fünf Milliarden Dollar. Im Vergleich mit anderen Ländern ähnlicher Größe und Struktur steht Iran damit sehr gut da. Das Land ist auf dem Weg, wieder ein potenter Wirtschaftspartner zu werden - speziell für die deutsche Industrie. Auf der anderen Seite besteht bei iranischen Technikern, Managern und Geschäftsleuten nach wie vor ein positives Vorurteil gegenüber Deutschland. Es ist auch durch Störfaktoren wie den Mykonos-Prozess und den Fall des zwei Jahre lang in Iran inhaftierten Kaufmanns Helmut Hofer nie wirklich beeinträchtigt worden. Die antideutschen Parolen des geistlichen Führers Ayatollah Ali Chamenei hatten nur zeitweilig Wirkung - vor allem, weil wenig Geld vorhanden war.
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