Berliner Zeitung, 11.7.2000 Ausländerpolitik im Freistaat Bayern Sigrid Averesch Einen Überraschungscoup startete Bayerns Innenminister Günter Beckstein in der vergangenen Woche. Der CSU-Politiker stellte das bayerische Modell der Anwerbung von ausländischen Fachleuten vor. Öffentlichkeitswirksam überholte Bayern mit seiner "blue card" sogar noch die rot-grüne Bundesregierung, nicht nur im Tempo, sondern auch mit einer liberaleren Regelung. So mancher, dem die populistischen Sprüche bayerischer Landespolitiker beim Thema Zuwanderung noch in den Ohren klangen, mochte sich da wundern und auf neue Einsichten hoffen. Doch von einem Richtungswechsel bei den Christsozialen kann keine Rede sein. Sie bleiben sich und ihrer schon lange betriebenen Ausländerpolitik treu. Innenminister Beckstein wird nicht müde, die Grundsätze der bayerischen Linie zu verkünden: "Die CSU will mehr Menschen ins Land holen, die uns nützen, und weniger, die uns ausnützen." Wer in welche Kategorie fällt, definiert Bayern souverän ausschließlich nach seinen eigenen Interessen. Eigene Interessen Bereits seit Jahren betreibt die bayerische Landesregierung diese Form der "Klassen-Politik". Sie wird jetzt mit der "blue card" nur geschickt und besonders werbewirksam fortgesetzt. Es waren die wirtschaftlichen Interessen, die die Regierung in der bayerischen Landeshauptstadt veranlassten, der Visaerteilung an ausländische Computerspezialisten ganz unbürokratisch zuzustimmen. Im Ringen um den besseren Standort hat sich Bayern dazu entschlossen, noch weiter zu gehen als die Bundesregierung. So sollen die angeworbenen Fachleute nicht nach fünf Jahren Deutschland wieder verlassen müssen. Die Aufenthaltsgenehmigung gilt stattdessen so lange, wie ein Arbeitsplatz nachgewiesen ist. Auch die Familienangehörigen der ausländischen Fachkräfte sind in Bayern willkommen. Umworben werden auch ausländische Wissenschaftler. Sie können nach Bayern kommen, sofern das Arbeitsamt nicht innerhalb einer Frist von einer Woche widerspricht. Während der Bund noch darüber diskutiert, die geltenden Regeln zu lockern, werden in München bürokratische Hemmnisse bereits abgebaut. Und auch in der Schulpolitik setzt das südliche Bundesland bereits seit Mitte der 70er-Jahre Akzente. Allein in diesem Schuljahr boten bayerische Schulen 52 000 ausländischen Schülern fast 7 000 Intensiv- und Förderkurse an, in der richtigen Erkenntnis, dass deutsche Sprachkenntnisse für die Integration unabdingbar sind. In all diesen Bereichen betreibt Bayern eine moderne Ausländerpolitik. Die Landesregierung hält sich - nicht zu Unrecht - zugute, die Probleme im Zusammenleben zwischen Deutschen und Ausländern früher als andere Landesregierungen angesprochen zu haben und sich um Abhilfe zu bemühen. Gegen Asylbewerber Doch die bayerische Linie hat eine Kehrseite. Sie spiegelt sich in den markigen Worten des Innenministers von der Nützlichkeit von Ausländern wider. Bereits seit Jahren kritisieren CSU-Politiker das deutsche Asylrecht. Sie stellen Asylbewerber als diejenigen dar, die die Sozialkassen belasten und geißeln pauschal einen angeblichen Asylmissbrauch. Von 100 000 Menschen, die jährlich in Deutschland um Asyl bitten, missbrauchten 85 000 dieses Recht, klagt Beckstein immer wieder. Verschwiegen wird dabei, dass Deutschland im europäischen Vergleich über die restriktivsten Asylregelungen verfügt. Zudem leben mehr einstige Asylbewerber legal in Deutschland, als die präsentierten Zahlen weismachen wollen. Zum einen, weil Gerichte ablehnende Bescheide des Bundesamtes für die Anerkennung von Flüchtlingen aufheben. Aber auch, weil vielen Flüchtlingen bei einer Rückkehr der Tod droht und sie darum Abschiebeschutz genießen. Verschwiegen wird auch: Asylbewerber dürfen bislang nicht arbeiten. Humanitäre Aspekte, die Bundespräsident Johannes Rau jüngst in seiner Berliner Rede anmahnte und an deren Berücksichtigung auch die Kirchen appellieren, spielen in der Ausländerpolitik der Christlich-Sozialen Union kaum eine Rolle. Die Gefahr, dass Ausländergruppen gegeneinander ausgespielt und Ausländerfeindlichkeit geschürt werde, sieht das bayerische Innenministerium nicht. Es verweist darauf, dass in Bayern Übergriffe auf Ausländer selten sind. "Wir machen zudem keine falschen Versprechungen", heißt es. Die Verlässlichkeit mache eben die Qualität der bayerischen Ausländerpolitik aus. Und für die CSU heißt dies - ihrer eigenen Praxis zum Trotz - immer noch: "Deutschland ist kein Einwanderungsland."
|