Ibbenbürer Volkszeitung, 12.7.2000 Richtig glücklich wird Huseyin nie mehr sein Von ANGELIKA PFEIFFER Mettingen. Terror und Gewalt haben sich in Huseyin Ocaks Erinnerung unauslöschlich eingegraben. Aufgeregt berichtet er von den vielen Toten in seiner kurdischen Heimatstadt Midyat, besonders in der Familie seiner Frau Azize waren zahlreiche Opfer von Folter und Tötungskommandos zu beklagen. Mit zitternden Händen hält Huseyin das Foto eines ermordeten Cousins. Am 5. Juli wurde Huseyin Ocak 40 Jahre alt. Eine Geburtstagsfeier gab es nicht. "Papa hat zu viel Schlimmes erlebt, um fröhlich feiern zu können. Wir Kinder, ja, wir feiern unsere Geburtstage mit Kuchen auch für die Mitschüler, aber Papa kann nicht mehr richtig glücklich sein", übersetzt Zinet, die im Alter von knapp elf Jahren im April 1990 mit der Familie nach Mettingen kam. Die Ocaks haben neun Kinder, der Älteste ist bereits verheiratet und lebt nicht mehr zu Hause. In der blitzblanken Wohnung am Wieher Kirchweg funkeln die Augen von Nezihat, Zinet, Zahir, Saliha, Nuri, Gul Bahar, Devrim und Son Gul mit den frisch geputzten Fensterscheiben um die Wette. Die Kinder gehen in die Paul-Gerhardt-Schule und Josefschule, die Kleinen in den Arche-Noah-Kindergarten. "Wir haben auch deutsche Freunde", berichten sie. Nuri ist acht Jahre alt. "Schule ist prima", erzählt das pfiffige Bürschchen lachend, "Sport, vor allem Turnen, finde ich toll." Saliha macht keine Unterschiede: "Alle Fächer sind schön", meint sie überzeugt. Die Ocaks sind strenggläubige Moslems. Die älteren Mädchen und die Mutter tragen Kopftücher. "Das ist nie ein Problem für uns gewesen, auch die Mitschüler akzeptieren das", erzählt Zinet, die zweitälteste Tochter. Fünfmal täglich wird gen Mekka gebetet, in die nächste Moschee fahren die Ocaks selten. "Wir können auch hier zu Hause beten", übersetzen die Kinder die Aussage des Vaters. Als Huseyin und Azize Ocak nach Mettingen kamen, hatten sie keinerlei Vorstellung über Deutschland und das Leben hier. Sie suchten Sicherheit für ihre Kinder, die heute zwei bis 17 Jahre alt sind, und die deutsche Sprache mühelos erlernen. "Hier haben wir keine Probleme", meint Huseyin, "wir sind zur Ruhe gekommen nach allem, was wir in unserer kurdischen Heimat erleben mussten." Mit dem Zehn-Personen-Haushalt ist die 39-jährige Azize vollauf beschäftigt. Besonders beliebt bei den acht Kindern ist ihre Pizza nach kurdischem Rezept, gebacken aus Brotteig mit Fleisch und viel Zwiebeln. Den eher seltenen Gästen serviert sie, gemeinsam mit der Ältesten, Nezihat, starken Tee aus dem türkischen Laden in Ibbenbüren. Azize hat nie eine Schule besucht, zu Hause gab es keinen Unterricht für die kurdische Minderheit. Beim Lesen und Schreiben ist also immer der Einsatz der Kinder gefragt, die sich im Gespräch mit deutschen Besuchern nur zu gerne als Dolmetscher erweisen. Gern gesehen ist bei den Ocaks auch Maria Lehmann, Diplom-Sozialpädagogin und Betreuerin der Asylbewerber in Mettingen. Sie muss ihre Zeit gut einteilen, nicht nur die Ocaks haben Fragen oder Probleme, bei denen sie hilft. Schuhe an und raus! Begeistert stellen sich die Kinder der Ocaks zum Foto hinter dem Haus auf und lachen in die Kamera. Für Azize und Huseyin ist es das erste gemeinsame Foto ihres Lebens, nur für die Zeitung hat Huseyin sich zum Mitmachen durchgerungen, wie er ernsthaft versichert. Demnächst soll das Bild dann einen Ehrenplatz im Wohnzimmer bekommen. Arztbesuche gehören für das Ehepaar zum Alltag, Azize leidet unter Asthma, Huseyin hat Probleme mit dem Rücken. Moderne Medizin sorgt da für Hilfe, doch was tun gegen den "psychischen Herzschmerz", der beide plagt?
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