Süddeutsche Zeitung, 13.7.2000 "Wir müssen die Reformer in Teheran unterstützen" Außenminister Fischer setzt nach dem Besuch Chatamis darauf, dass Iran zum Stabilitätsanker in der Krisenregion wird SZ: Herr Fischer, das große Wort vom Neuanfang hat den Chatami-Besuch in Berlin bestimmt. Reicht Ihnen ein Reformer dafür, mit dem so genannten Gottesstaat wieder ins Geschäft zu kommen? Fischer: Mir geht es in der Iran-Politik nicht um das Geschäft. Das würde ich nicht überschätzen. Der demokratische Reformprozess unter Präsident Chatami bietet eine große Chance für Menschenrechte, Demokratie, Frieden und Stabilität in einer auch für uns extrem gefährlichen Region. SZ: Aber Chatami repräsentiert nicht allein das politische System Irans. Fischer: Er hat die breite Mehrheit des Volkes hinter sich und gleichzeitig zu allem entschlossene Gegner. In Iran haben wir so etwas wie eine Doppelherrschaft. Aber es wäre ein großer Fehler, wenn wir nicht die Reformer unterstützten. Dies ist nicht nur ein Gebot der politischen Vernunft, sondern liegt auch im Interesse Deutschlands. Das heißt nicht, dass nicht bereits hinter der nächsten Ecke große Gefahren für das Reformprojekt lauern können. SZ: Welche Rolle spielen noch Mykonos und der Fall Hofer? Fischer: Die schwierigen Themen sind überwunden. Wir haben sie nicht verdrängt, sondern gelöst - durch beharrliche Festigkeit. Herrn Hofer haben wir durch geduldiges Verhandeln zurückbekommen. Sie können mir glauben: Das war alles andere als einfach. Von einem Todesurteil bis hin zur Ausreise - Herr Hofer hat viel mitgemacht, weiß Gott. SZ: Also Strich drunter und alles vergessen? Fischer: Wir wollen die Beziehungen nach vorne orientieren. Jetzt gehen wir realistisch und mit klarer Sicht der Probleme voran. Der Besuch hat dabei einen wichtigen Punkt in unseren Beziehungen markiert. Das war für beide Seiten kein einfacher Schritt. SZ: Ist da nicht trotzdem eine Menge Wunschdenken dabei? Fischer: Chatami und die ihn unterstützende Mehrheit der Bevölkerung wollen Demokratie und damit auch einen Iran, der sein zivilgesellschaftliches Potential nutzt und zum Stabilitätsanker in einer an Stabilitätsankern armen Region wird. Das ist alles andere als Wunschdenken. Die Risiken sehen wir sehr klar. SZ: Trotzdem zählt Iran zu den Ländern, die von den USA bis vor kurzem noch als Schurkenstaaten bezeichnet wurden. Die Bundesregierung spricht von Risikostaaten. Gehört Iran dazu? Fischer: Wir sehen das Land im Aufbruch zu demokratischen Reformen. Der Begriff Risikostaat im Sinne eines Schurkenstaates trägt nicht weit. SZ: Wie weit reicht das Vertrauen, wenn laut Prognose des BND Iran im Jahr 2005 mit seiner Shahab-3-Rakete die Türkei und wenige Jahre später gar Polen erreichen könnte? Fischer: Um so wichtiger wird es sein, dass wir durch geduldige Diplomatie versuchen, Iran in die Staatengemeinschaft einzubinden. Es darf weltweit zu keinen irrationalen Reaktionen mit Massenvernichtungsmitteln und Trägersystemen kommen. Die Nordkoreapolitik der USA ist dazu ein gutes Beispiel für präventive Diplomatie. SZ: Machen die Veränderungen in Korea und nun auch die Öffnung Irans eine Raketenabwehr überflüssig? Fischer: Gegenfrage: Geht es denn wirklich um diese Staaten? Die Begründungen für die Raketenabwehr haben sich in den letzten Monaten doch ständig verändert. Ich möchte darüber nicht öffentlich spekulieren. Die geplante US-Raketenabwehr macht klar, dass wir auf Staaten zugehen müssen, die abzudriften drohen. Und wenn sich diese Staaten der internationalen Gemeinschaft mit all ihren Normen nähern, dann sollten wir das mit Nachdruck unterstützen. SZ: Zählt der Iran dazu? Fischer: Wenn wir auf den Krisenbogen der kommenden Jahrzehnte schauen, dann führt unser Blick vom Balkan aus ostwärts in den Nahen und Mittleren Osten und nach Zentralasien. Dort gibt es eine Mischung aus politischer Instabilität, Fanatismus, sehr konfliktträchtigen wirtschaftlichen Interessen und jeder Menge Waffen. Iran rückt mehr und mehr als potentieller Stabilitätsfaktor in den Vordergrund. SZ: Aber das Instrumentarium bleibt klein: Es gibt keine Bündnisse, es herrscht latente Kriegsangst. Fischer: Wir hoffen, dass der Nahost-Friedensprozess zu einem positiven Durchbruch führt. Auch unser Engagement im Balkan hat größere Konflikte entschärft. Nochmal: Dieser Krisenbogen reicht bis Europa. Wir sind in großer Sorge, dass Russland keine politische Lösung für den Nordkaukasus anbietet - einen russischen Stabilitätspakt etwa. Der südliche Kaukasus, die Öl- und Gasreserven Zentralasiens - das alles bedarf der regionalen Stabilisierung und friedlichen Lösung. SZ: Rechtfertigen strategische Interessen alleine die Politik der offenen Arme? Fischer: Das ist nicht der Punkt. Wir diskutieren mit Teheran alle Fragen und zwar in einer sehr direkten Art - zum Beispiel die Haltung Irans zum Nahost-Friedensprozess, die Unterstützung für die Hisbollah, das Verhältnis zu Israel. Wir erörtern auch die Frage Menschenrechte und alle wichtigen Einzelfälle. SZ: Die von Ihnen geschilderten Beziehungen zu Iran könnte man fast mit einem alten Namen umschreiben: Kritischer Dialog. Als Oppositionspolitiker haben Sie Außenminister Kinkel dafür noch heftig kritisiert. Fischer: Man kann die damalige iranische Führung nicht mit den Reformern von heute vergleichen. Chatami betreibt eine Politik der Öffnung. Insofern taugt der Begriff kritischer Dialog überhaupt nicht. Der meinte, dass in einer Zeit ohne Hoffnung auf Reformen die Beziehungen fortgesetzt wurden, obwohl man wusste, dass schwere Belastungen im Anmarsch waren. Und zu Kinkels damaliger Politik fiele mir vieles ein, aber das schlucke ich besser runter, weil es für dieses Interview zu unhöflich wäre. SZ: Gibt es denn eine Brücke zwischen der Zivilgesellschaft nach westlichem Muster und dem Islam? Fischer: Ich gebe offen zu, dass ich im März mit anderen Vorstellungen nach Teheran gefahren bin. Aber: Ich war erstaunt über das zivilgesellschaftliche Potential. Jenseits von Israel und jenseits der Palästinenser ist Iran vermutlich das Land mit den größten zivilgesellschaftlichen Möglichkeiten in der Region. Also ist es notwendig, dass man die richtigen Leute unterstützt. Iran wird sich nicht wieder hinter die islamische Unabhängigkeitsrevolution von 1979 zurückentwickeln. Es wird keine nennenswerte politische Kraft geben, die das Land in eine Abhängigkeit wie vor 1979 geraten ließe. Das verbindet die Modernisierer mit der islamischen Revolution. Deswegen ist auch ausländischer Einfluss eine zweischneidige Sache. Wir müssen also auch die nötige Sensibilität mit den Reformkräften haben, weil es sonst sehr schnell zu negativen Konsequenzen in der iranischen Innenpolitik kommt. Am Ende bleibt die Frage: Wie verbindet sich die Modernisierung mit der theokratischen Verfassung? Die Frage lässt sich heute nicht beantworten. SZ: Die nötige Sensibilität ließen wohl auch einige Abgeordnete vermissen, die sich für die Unterschriftenaktion der Volksmudschaheddin instrumentalisieren ließen. Fischer: Ich habe die Liste der 175 nicht gesehen - die Journalisten übrigens auch nicht, die darüber schrieben. Beim besten Willen: Jemanden wie Chatami unter Berufung auf die Volkmudschaheddin anzugreifen - das zeugt nicht gerade von tiefer Überlegung. SZ: Andere Länder sind in die Lücke gesprungen, die Deutschland in den Wirtschaftsbeziehungen zu Iran gelassen hatte. Fischer: Ich halte überhaupt nichts von den abstrakten Betrachtungen dieser Märkte und ihres Wirtschaftspotentials. So wichtig die Außenwirtschaftsbeziehungen sind, sie können nicht der dominante Maßstab der Außenpolitik sein. SZ: Sind die Menschenrechte noch ein Maßstab - bei diesem Besuch schien das Thema deutlich hinter Wirtschaftsfragen zurückzustehen? Fischer: Ich kann Ihre Einschätzung überhaupt nicht teilen. In meinen Gesprächen mit Präsident Chatami und Außenminister Charrasi war dies ein dominanter Gesprächsteil. Wir hatten mit unserer Vorgehensweise aus Offenheit, Festigkeit und Verständnis für die Zwänge der anderen Seite im Fall Hofer Erfolg - und so werden wir weiter vorgehen. SZ: Relativ einfach ließe sich Politik beim Kulturaustausch machen. Wann wird es denn wieder ein Goethe-Institut in Teheran geben? Fischer: Wir hoffen bald, denn die Reaktivierung des Kulturaustauschs ist von überragender Bedeutung für unsere gegenseitigen Beziehungen. Der Kulturaustausch wird immer wichtiger, auch unter dem Gesichtspunkt demokratischer Grundwerte, der Herrschaft des Rechts - das ist ja nicht gebunden an die westliche Kultur. Das ist ein universell kompatibles Prinzip. Aber da stehen noch einige schwer zu überwindende Hürden. SZ: Etwa die Verfolgung von Autoren, die Gängelung liberaler Zeitungen . . . Fischer: Das hat ja selbst in Iran zu einer sehr harten Auseinandersetzung geführt. Die Ermordung von Autoren und die Unterdrückung von Pressefreiheit ist inakzeptabel. Deswegen unterstützen wir alle, die das Land bei der Achtung der Menschenrechte, der Pressefreiheit, der Meinungsfreiheit voranbringen wollen. Diese Demokraten bringen einen sehr, sehr mutigen, einen sehr risikoreichen Einsatz. Er verdient unsere volle Unterstützung und nicht unsere Ablehnung. SZ: Die Spannung zwischen Recht und Islam ist auch in anderen Regionen Asiens zu spüren. Auf den Philippinen leiden Touristen Geiselqualen. Was kann die Bundesregierung tun, um zu helfen? Fischer: Jeder Stein, unter dem sich eine Lösungsmöglichkeit verbergen könnte, wird von uns umgedreht. Unser überragendes Interesse ist, dass es nicht zu einer gewaltsamen Lösung kommt und dass der humanitäre Kanal offen gehalten wird. Allerdings sind wir nicht in der Lage, selbst zu verhandeln. Das liegt in der Verantwortung der philippinischen Regierung. Aber wir tun, was wir können. Die Verschleppung eines Journalisten vom Spiegel und anderer aus Frankreich hat die Lage alles andere als einfacher gemacht. SZ: Sie reisen diese Woche durch Asien. Werden Sie auch in Manila vorstellig? Fischer: Wir werden alles tun, was notwendig ist. Meinen Kollegen aus Finnland, Frankreich und mir selbst wird kein Weg zu weit sein, wenn er notwendig ist. SZ: Ist denn der öffentliche Rummel hilfreich für die Geiseln? Fischer: Ich möchte das nicht weiter kommentieren. Manches hat unsere Arbeit nicht einfacher gemacht. Manches hat die Vorstellungen der Geiselnehmer eher beflügelt als reduziert.
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