Financial Times Deutschland, 13.7.2000 Greencard: Gefährliches Kartenspiel Von Nikolaus Förster, Hamburg, und Thomas Hanke, Berlin Damit hätten die Strategen im Kanzleramt nicht gerechnet. Da erklärt der bayerische Innenminister in München in aller Seelenruhe, sein Freistaat brauche dringend qualifizierte Ausländer, zaubert eine Initiative namens Bluecard aus dem Ärmel - und stiehlt Gerhard Schröder die Show. Ein Coup: Monatelang hatte die Republik über die Greencard, das Prestige-Projekt des Kanzlers, gestritten. Verordnungen wurden erarbeitet und wieder verworfen. Und auf einmal, als sei es die alltäglichste Sache der Welt, erlässt das Kabinett in München eine schlichte Verwaltungsanweisung - und demonstriert werbewirksam, wie flexibel sich das Ausländerrecht handhaben lässt. "Ab sofort" können ausländische Hightech-Fachkräfte, die über einen Arbeitsvertrag verfügen, nach Bayern einreisen, vorausgesetzt die Bundesanstalt für Arbeit stellt einen Fachkräftemangel fest. Eine detaillierte Verordnung, wie sie Rot-Grün am Freitag im Bundesrat durchboxen will, ist nicht nötig. Solche Macherqualitäten kommen an. Das Signal der Bayern - wir sind flexibel, weltoffen, unbürokratisch - wird allerorten begrüßt, selbst von der grünen Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, Marieluise Beck. Hessen beschließt unter der Führung des stramm konservativen Roland Koch kurzerhand, dem bayerischen Beispiel zu folgen. Auch andere Bundesländer - darunter das SPD-geführte Bremen und Schleswig-Holstein - äußern sich positiv. Am liebsten, witzelt ein Sprecher des Innenministers Günther Beckstein, hätten die Bayern ihre Initiative White-Blue-Card genannt. "Aber dann hätten alte Preußen wie Brandenburgs Innenminister Schönbohm ihre Probleme damit gehabt." Was zunächst wie ein harmloses Farbenspiel wirkte, erweist sich inzwischen als gut getarnte Verschärfung der Ausländerpolitik - und als Etikettenschwindel, der dazu dient, einen Keil in die rot-grüne Koalition zu treiben: Während die Greencard des Kanzlers Ausländern eine Aufenthaltserlaubnis von fünf Jahren garantiert, knüpft die bayerische Bluecard das Bleiberecht an einen Arbeitsvertrag. "Wer arbeitslos wird, muss wieder ausreisen, wenn er der Sozialkasse zur Last fällt", heißt es im bayerischen Kabinettsbeschluss. Unverhohlen gibt Beckstein preis, worauf es ihm ankommt: "Wir wollen mehr Ausländer, die uns nützen, statt solche, die uns ausnützen." Mit anderen Worten: Je mehr Fachkräfte nach Deutschland kommen, desto weniger Platz bleibt für Flüchtlinge; denn am Ziel einer "Begrenzung der Gesamtzuwanderung" rütteln die Bayern nicht. Damit tut der Verpackungskünstler Beckstein genau das, wovor Bundespräsident Johannes Rau und der Präsident des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, gewarnt haben: Er verrechnet die Zahl der ausländischen Fachkräfte mit Asylbewerbern und Flüchtlingen. Aushölung des Asylrechts Diese Verknüpfung von Zuwanderung und Asyl offenbart die einkalkulierte Nebenwirkung der Bluecard-Initiative: Sie dient einer weiteren Aushöhlung des Asylrechts. Das individuelle Grundrecht auf Asyl soll durch eine institutionelle Garantie des Staates ersetzt werden - mit einem verkürzten Instanzenweg. Ein geschickter Schachzug. Genüsslich zitieren Christdemokraten SPD-Innenminister Otto Schily, der gerne darauf hinweist, man dürfe die Deutschen nicht überfordern. Deutschland brauche weniger Ausländer, die von den Sozialkassen leben, und mehr, die in die Sozialkassen einzahlen. "Wir müssen auch in der Lage sein, Zuwanderung dort zu unterbinden, wo sie nicht unseren Interessen und Grundsätzen entspricht." Eine Position, die Grüne und weite Teile der SPD ganz und gar nicht teilen. Die CSU weiß dies. Die Debatte um grüne und blaue Karten, so das Kalkül der Bayern, könnte im Sommer eine hitzige Debatte entflammen und die Regierungskoalition entzweien. Schröders Versuch, das Thema einer Einwanderungs-Kommission zu übertragen und es damit auf die lange Bank zu schieben, ist erst einmal gescheitert. Hintersinnig hatte er Ex-Parlamentspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) den Vorsitz des Gremiums angeboten, um die zögernde Union doch noch ins Boot zu holen. "Selbst mäßig intelligente Menschen haben Schröders Trick durchschaut", schimpfte der CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl. Als die liberale Christdemokratin zusagte, warf er ihr parteischädigendes Verhalten vor. Nur keinen Konsens mehr zulassen, lautet seither die Devise aus München. Die Liste der Themen, mit denen sich Schröder bei den Wählern als Modernisierer profilieren konnte - Atomausstieg, Bundeswehrreform, Zwangsarbeiterentschädigung, Haushaltskonsolidierung - ist schon lang genug. Die Strategie scheint aufzugehen. Stoiber und Beckstein haben eine Lawine losgetreten. Nach jahrelanger Zurückhaltung nahezu aller deutschen Parteien ist der Ruf nach einer Zuzugsregelung für Ausländer jetzt wieder lauter geworden. Bayern und Baden-Württemberg werden am Freitag im Bundesrat einen Entschließungsantrag zur gesetzlichen Begrenzung der Zuwanderung einbringen. Auch andere Bundesländer halten nicht mehr still: "Bei der Frage, wer in Deutschland Aufnahme finden soll, muss dem praktischen Nutzen für unser Land ein höherer Stellenwert eingeräumt werden als humanitären Aspekten", fordert der hessische CDU-Innenminister Volker Bouffier. Sein Berliner Parteikollege setzte Anfang der Woche noch eins drauf. Die künftige Ausländerpolitik, sagte Innensenator Eckart Werthebach, müsse die "Mehrheitsinteressen des deutschen Volkes" berücksichtigen und dürfe "nicht länger als Reparationsleistung für die Rassenpolitik des Dritten Reiches betrieben und als unabwendbare Kriegsschuldfolge angesehen werden". Langsam dämmert der rot-grünen Koalition, dass sie in Schwierigkeiten geraten könnte, wenn die Opposition weiterhin geschickt mit Emotionen spielt. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Cem Özdemir, ist schon jetzt davon überzeugt, dass sich das Thema Einwanderung nicht aus dem nächsten Bundestagswahlkampf heraushalten lässt. Verkehrte Welt: Noch im Frühjahr stellte sich die Situation ganz anders dar. Mit seinem Greencard-Vorschlag, den der Kanzler im Februar auf der Computermesse Cebit mit großem Getöse vorstellte, drückte er die Opposition politisch an die Wand. Unvergessen der peinliche Wahlkampfslogan "Kinder statt Inder" des Jürgen Rüttgers. Den Sozialdemokraten lieferte der tölpelhafte NRW-Politiker damit die beste Vorlage, sich als weltoffen und modern zupräsentieren. Die Union, durch Kohls Kassen ohnehin in der Defensive, geriet zusätzlich unter Druck. Die Hoffnung des Kanzleramts, die Opposition werde sich über die Greencard-Initiative intern zerfleischen, ging auf - zunächst jedenfalls. Die Situation hat sich gewandelt Mittlerweile hat sich die Situation gewandelt. Es ist eingetreten, was Schröders Team für unmöglich hielt. "Die Union zerreißt es, wenn sie das Wort Einwanderung nur in den Mund nimmt", prahlte noch vor einigen Wochen ein Kanzlerberater. Weit gefehlt. Im Eckpunkte-Papier, das Stoibers Kabinett in der vergangenen Woche beschloss, räumen die Bayern ein, Deutschland müsse "zur Sicherung wissenschaftlicher Spitzenleistungen, hoher Innovationskraft und wirtschaftlicher Dynamik offen sein für ausländische Fachkräfte". Beckstein glaubt, mit seinem überraschenden Vorstoß einen wichtigen Vorsprung zu bekommen. "Die schnellsten Windhunde holen die besten Leute." Ob die heiß begehrten Spezialisten sich allerdings tatsächlich für bayerische Unternehmen entscheiden, also im Wettlauf um die besten Köpfe gewinnen, ist fraglich. Denn auch die USA werben um Fachkräfte; und sie bieten ein permanentes Bleiberecht. Ob sich die CSU mit ihrem verschärften Ansatz zudem in der Union durchsetzen kann, ist fraglich. Darin liegt Konfliktstoff, der gegenwärtig in der Partei sorgsam zugedeckt wird. Der Versuch, Rot-Grün mit einer Einwanderungs- und Asyl-Debatte in die Enge zu treiben, könnte sich als Bumerang erweisen. "Mit dem Thema", warnt ein CDU-Abgeordneter, "kriegen wir mindestens so große Probleme wie die Regierung." Noch ist nicht geklärt, welche Position die CDU einnehmen wird. Noch feilt sie an ihrer Einwanderungspolitik, einem Thema, das in der Partei als höchst sensibel gilt. Bis zum Jahresende soll eine Kommission Antworten zu diesem Thema ausarbeiten. Geleitet wird sie vom saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller, der für seine liberalen Positionen bekannt ist. Ein Konflikt bahnt sich schon jetzt an, falls die CDU darauf beharrt, dass Zuwanderung auch ein Beitrag zur Lösung der demografischen Probleme Deutschlands sein kann. Bis zum Jahr 2030, heißt es in einem Uno-Bericht, wird die Bundesrepublik ein Sechstel ihrer Einwohner verlieren. Statt 82 Millionen werden dann nur noch 68 Millionen Menschen hier leben. Die Uno-Demografen empfehlen daher eine gezielte Einwanderungspolitik. Das sieht die CSU ganz anders: Sie fordert eine "klare Absage an den untauglichen Versuch, demografische Probleme mit erheblicher Einwanderung zulösen". Noch laviert die CDU, greift zu kurioser Begriffs-Akrobatik und versucht, das Thema zu entschärfen. "Die Zahl alleine sagt nichts darüber aus, ob die Zuwanderung für unsere Gesellschaft eine Belastung oder eine Bereicherung war", schreibt der CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach in einem Diskussionspapier, das er im Auftrag von Fraktionschef Friedrich Merz verfasst hat. Irgendwann wird die Partei sagen müssen, ob sie damit mehr Einwanderung meint - oder weniger.
|