junge Welt, 14.07.2000 Abschied von der Expo? Weltausstellung will Engagement für Menschenrechte einschränken. Amnesty droht mit Ausstieg Amnesty international hat angedroht, sich von der Präsentation des Themas Menschenrechte im Themenpark (Halle 7) der Weltausstellung in Hannover zurückzuziehen. Als wissenschaftlicher Kooperationspartner hat die Menschenrechtsorganisation diesen Bereich gemeinsam mit den Organisatoren des Themenparks langfristig vorbereitet. Anhand von Einzelschicksalen werden dort zur Zeit die desolate Situation in sudanesischen Gefängnissen sowie Folter von Kindern und Jugendlichen in der Türkei dargestellt. Außerdem geht es um den Einsatz von Repressionstechnologien wie Elektroschockgeräten in den USA. Und: Besucher können sich direkt in Form von Protestfaxen für Menschen in verschiedenen Ländern, die akut bedroht sind, einsetzen. Der stellvertretende Generalkommissar der Expo, Norbert Bargmann, hat angewiesen, den Ausstellungsteil, der die Türkei betrifft, bis zum heutigen Freitag entfernen zu lassen. "Wenn dies geschieht, gibt die Expo dem Druck der Türkei offenbar nach. Trotz mehrfacher vorheriger Nachfragen unsererseits wurden wir erst vor zwei Tagen mündlich informiert, daß zwei Beschwerdebriefe von türkischen Regierungsstellen vorliegen. Wir können und werden eine von staatlicher Seite geforderte Veränderung der Ausstellung nicht akzeptieren. Hier steht unsere Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Als unabhängige Menschenrechtsorganisation sind wir den Menschenrechten verpflichtet und sonst niemandem", erklärt Uwe Kirchner, Vorstandsbeauftragter von amnesty international für die Expo. Durch ein Video sowie Textbeiträge wird das Schicksal von mehreren türkischen Kindern und Jugendlichen dargestellt: Sie waren im Dezember 1995 verhaftet und beschuldigt worden, gegen das Anti-Terror-Gesetz verstoßen zu haben. Im Polizeipräsidium von Manissa wurden sie zehn Tage lang geschlagen und mit Stromstößen gefoltert. 1997 wurden zehn der Jugendlichen zu Freiheitsstrafen verurteilt. Das Gericht hat die Foltervorwürfe genausowenig berücksichtigt wie die Erklärung der Jugendlichen, ihre Geständnisse seien unter dem Druck der Folter zustandegekommen. Inzwischen läuft ein Wiederaufnahmeverfahren. Die Polizisten wurden in zwei Prozessen zunächst freigesprochen, auch hier läuft ein Wiederaufnahmeverfahren. Solche Menschenrechtsverletzungen sind in der Türkei an der Tagesordnung. Niemand, der auf einer türkischen Polizeistation festgehalten wird, ist vor Folter und Mißhandlungen sicher, nicht einmal Kinder. Die türkischen Behörden gehen Foltervorwürfen nur selten nach. Wenn sich Folterer dennoch einmal vor Gericht verantworten müssen, gehen sie in der Regel straffrei aus. "Angesichts dieser Situation wäre es ein Schlag ins Gesicht der Opfer, wenn sich die Türkei auf der Expo mit massiver Schützenhilfe der Veranstalter - Gastgeber ist immerhin die Bundesrepublik Deutschland - ausschließlich als schönes Reiseziel präsentieren könnte", betont Uwe Kirchner. Alle Details der Ausstellung im Themenpark waren der Expo seit langem bekannt, Proteste von Regierungen wurden erwartet und bewußt in Kauf genommen. Noch Anfang Juli hat der Leiter des Themenparks, Dr. Martin Roth, sich demonstrativ hinter die Ausstellung gestellt und zu Gunsten eines verschwundenen Gewerkschafters ein Fax an die kolumbianische Regierung gesandt. "Wenn die Veranstalter dem Druck der türkischen Regierung nachgeben, ist nur eine Schlußfolgerung möglich: Es ging nie um Inhalte, sondern immer nur um den schönen Schein und einen Rekord der teilnehmenden Nationen", so Uwe Kirchner. Im Themenpark hat die Menschenrechtsorganisation bislang zu Aktionen zu Gunsten von acht akut bedrohten Menschen aufgerufen. Bereits in zwei Fällen haben die Protestschreiben aus Hannover zu einem Erfolg beigetragen: Daw Khin Nu und Daw Chaw, zwei etwa 70jährige Frauen, die ohne medizinische Versorgung in einem Gefängnis in Yangon (Rangun), der Hauptstadt von Birma, festgehalten worden waren, wurden nach acht Tagen aus der Haft entlassen. Rund 8000 Besucher der Expo haben sich bislang an der Aktion im Themenpark beteiligt. Prominente aus Politik und Gesellschaft haben öffentlich betont, der Beitrag von amnesty international sei ein unverzichtbarer Bestandteil der Weltausstellung. Amnesty international würde es sehr bedauern, wenn eine bislang im Sinne der Menschenrechte erfolgreiche Zusammenarbeit nun durch die einseitige Handlungsweise der Expo beendet würde: "Wir kämpfen immernoch um die Aktion und haben mehrfach versucht, mit der Expo ins Gespräch zu kommen, wurden jedoch sehr rüde abgewiesen. Außerdem haben wir uns bemüht, mit Hilfe prominenter Fürsprecher die Expo zum Einlenken zu bewegen. Leider war das alles bislang erfolglos", betont Uwe Kirchner. Unter anderem hatte sich die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, Claudia Roth, mit einem dringlichen Appell an Birgit Breuel gewandt. Für den 19. August, den Nationentag der Türkei, hat die Menschenrechtsorganisation eine Großveranstaltung angekündigt.(ots/jW)
|