Badische Zeitung, 15.07.2000 Türkei tut wenig zur Vorbereitung des EU-Beitritts / Verheugen gibt sich dennoch optimistisch Das Prinzip Hoffnung Von unserem Korrespondenten Jürgen Gottschlich ISTANBUL. "Die Zeit der Deklarationen ist vorbei, jetzt beginnt die wirkliche Arbeit". Während seines zweitägigen Türkeibesuchs, gestern und vorgestern, gab sich Günther Verheugen, EU-Kommissar für die Erweiterung der Union, betont optimistisch. "Wir sind auf einem guten Weg und die Vorbereitung der Dokumente für die Beitrittspartnerschaft liegen im Zeitplan". Verheugen besuchte auch die mittelanatolische Stadt Kayseri, um das Land besser kennen zu lernen, als dies bei Stippvisiten nur in der Hauptstadt möglich wäre. "Ich möchte von den Leuten vor Ort erfahren, was sie von der EU erwarten und Meinungen zum Integrationsprozess direkt von der Bevölkerung hören". Was immer Verheugen in Kayseri erfahren hat, sein zur Schau gestellter Optimismus basiert zur Zeit vor allem auf dem Prinzip Hoffnung und nicht auf bereits erreichten Ergebnissen. Sein Besuch fällt genau mit der Bekanntgabe der Ernennung des früheren Ministerpräsidenten Mesut Yilmaz zum EU-Staatsminister zusammen. Einer der Gründe, warum seit dem Helsinki-Gipfel im Dezember letzten Jahres auf türkischer Seite kaum etwas passiert ist, ist ein erbittertes Kompetenzgerangel hinter den Kulissen. Der Hauptgrund dafür ist Mesut Yilmaz. In der Dreiparteien-Regierung in Ankara hatte der Chef des kleinsten Koalitionspartners bislang kein Amt. Yilmaz war im Herbst 1998 als Ministerpräsident gescheitert, weil ihm wegen diverser Korruptionsvorwürfe das Vertrauen entzogen wurde. Solange diese Vorwürfe nicht geklärt sind, sollte er kein Regierungsamt übernehmen. Unbeeindruckt von dieser Übereinkunft hatte Yilmaz im Frühjahr eine erste Regierungskrise heraufbeschworen, weil er unbedingt Süleyman Demirel als Präsident beerben wollte. Nachdem er damit scheiterte, ließ er Ministerpräsident Ecevit wissen, sein Ziel sei jetzt ein Querschnittsministerium zur EU-Anpassung. Um Yilmaz zu verhindern, stimmten die Abgeordneten der nationalistischen MHP, die mit der ANAP von Yilmaz und der DSP von Ecevit die Regierung bilden, in mehreren Parlamentsausschüssen dafür, Yilmaz vor Gericht zu bringen. Erst in einer Plenarabstimmung kam Yilmaz mit zwei blauen Augen knapp davon. Nun hat er es also geschafft, aber ob seine Ernennung wirklich dem Integrationsprozess der Türkei in die EU dient, darf füglich bezweifelt werden. In Europa erinnert man sich an ihn vor allem als an den Mann, der kein Fettnäpfchen auslässt und durch verbale Entgleisungen zerstört, was von anderen mühsam aufgebaut worden war, und innerhalb der Koalition wird er von MHP und DSP mit größtem Misstrauen betrachtet. Obwohl Yilmaz persönlich die EU- Forderungen durchaus vertritt und beispielsweise in der Kurdenfrage von den Hadep-Bürgermeistern in Diyarbakir und anderen Städten im Südosten als Hoffnungsträger gesehen wird, dürfte es ihm sehr schwer fallen, diese Positionen im Apparat auch durchzusetzen. Jüngstes Beispiel ist die Debatte um die Rolle des Nationalen Sicherheitsrates. Eine vom Ministerpräsidenten eingesetzte Kommission, die feststellen sollte, welche Gesetze und Verordnungen in der Türkei im Zuge der Integration verändert werden müssen, hatte angeregt, die jetzige Dominanz der Militärs im Nationalen Sicherheitsrat dadurch zu relativieren, dass Zivilisten in diesem entscheidensten Gremium der türkischen Politik mehr Gewicht bekommen sollten. Der Vorschlag stieß im Generalstab auf heftigen Widerspruch und es würde einer breiten Übereinstimmung der zivilen Politik bedürfen, um eine Machtbeschneidung der Militärs durchzusetzen. Eine solche Übereinstimmung zu organisieren, wird aber gerade einem Mann wie Yilmaz sehr schwer fallen. Erschwerend kommt hinzu, dass ihm nun nicht mehr viel Zeit bleibt. Spätestens bis zum EU-Gipfel zum Abschluss der französischen Präsidentschaft in Nizza, erklärte Günter Verheugen in Kayseri, soll das entscheidende Dokument zur Beitrittspartnerschaft vorliegen. Darin wird die EU auflisten, was sie genau von der Türkei erwartet und die Türkei wird einen so genannten "Nationalen Beitrittsplan" vorlegen, in dem festgelegt wird, in welchem Zeitraum das Land welche Reformen umsetzt. Dieses Dokument wird die Bibel zum türkischen EU-Beitritt. Auf die Ernennung von Yilmaz ging Verheugen nur indirekt ein. Viele Beitrittsländer hätte eine ähnliche interne Organisation, wie die Türkei sie jetzt beschlossen habe. Sein Hauptansprechpartner bleibe aber Außenminister Ismail Cem. Der neben im sitzende Cem nahm dies mit tiefer Befriedigung zur Kenntnis. |